Mitte der 1950er Jahre begann die deutsche Bundesregierung mit der Anwerbung von Arbeitsmigrant*innen aus dem Ausland, u.a. aus der Türkei. Obwohl die Beschäftigung migrantischer Arbeitnehmer*innen ursprünglich als vorübergehende Maßnahme angedacht war, blieben viele von ihnen langfristig und holten auch ihre Familien nach Deutschland. Diese Menschen sind aufgrund ihres dauerhaften Verbleibs zu einem essentiellen Teil der deutschen Gesellschaft geworden. Das „Gastland“ wurde zu ihrem Lebensmittelpunkt. Diese Generation der damals als „Gastarbeiter“ Betitelten lebt noch heute hierzulande und ihre Kinder und Enkel in der zweiten, dritten und vierten Generation. Die Geschichten der ersten Arbeitsmigrant*innen sind im kollektiven Bewusstsein der Gesellschaft kaum präsent, ihre Lebensleistungen werden wenig anerkannt.
Vor diesem Hintergrund entstand die Idee eines Museums der Migrationsgeschichte und einzelner Migrationsbiografien. Freiwillig Engagierte der ersten Generation Arbeitsmigrant*innen fanden sich als Projektgruppe bei wöchentlichen Treffen zur Erarbeitung der grundlegenden Ideen, des Konzepts und des Anliegens des geplanten Museums zusammen. Das Team erörterte, welchen Mehrwert das Projekte für den Stadtteil Gröpelingen und die Stadt Bremen haben könnte, welche Zielgruppe mit der Aufarbeitung der Geschichte erreicht werden sollte und welche Gesichtspunkte vermittelt werden würden. Es fand ein mehrtägiges Seminar zwecks einer intensiveren Ausarbeitung statt. 2016 organisierte das Zentrum für Migranten und interkulturelle Studien e.V. ein Seminar in der Freizeit- und Tagesstätte Meedland auf Langeoog. Die Projektgruppe, die sich aus 14 Teilnehmer*innen zusammensetzte, wurde von Ali Eliş und Gudrun Münchmeyer-Eliş angeleitet. In dem Seminar konnten sich die Teilnehmer*innen mit ihrer persönlichen Geschichte auseinandersetzen, woraus die Idee entstand, jede ganz individuelle Biografie festzuhalten.
Zurück in Bremen wurden mit 50 Personen der Gruppe der ersten Arbeitsmigrant*innen kurze Interviews zu ihren Biografien geführt. Zehn von ihnen, fünf Männern und fünf Frauen, wurden um ausführlichere Interviews gebeten. Die Gespräche wurden auf Türkisch geführt und später ins Deutsche übersetzt. Von jedem*r Teilnehmer*in entstand ein Portraitfoto und ein Handabdruck aus Gips.
Um die Biografien, Dokumente und persönlichen Fotos mit der Öffentlichkeit teilen zu können, wurde nach einem geeigneten Rahmen gesucht, bis man sich schließlich auf die Darstellung der Materialen auf einer digitalen Ebene einigte –in Form eines virtuellen Museums der Migration.
Mit dem Museum wird eine vermehrte Begegnung von Menschen mit unterschiedlichen Hintergründen und verschiedenen Alters angestrebt, das Verständnis füreinander soll gefördert und der Dialog miteinander angeregt werden. Jüngere Generationen, die ebenfalls einen Migrationshintergrund besitzen, haben mit dem Virtuellen Museum der Migration die Chance, Einblicke in die Geschichte ihrer Eltern und Großeltern, ihre Arbeits- und Lebensweisen zu bekommen und auf diese Art ein größeres Bewusstsein für die Lebenswege und -leistungen der und mehr Empathie für die älteren Generationen zu entwickeln. Auch Schüler*innen und Studierende mit und ohne Migrationshintergrund können das Museum „besuchen“ und sich Wissen über die Geschichte der Arbeitsmigration des vergangenen Jahrhunderts aneignen. Das Virtuelle Museum der Migration trägt somit sowohl zur historischen Erinnerungsarbeit als auch zur Integrations- und Bildungspolitik bei.
Zusätzlich zu der virtuellen Ausstellung gibt es beim ZIS einen interkulturellen Aktionsraum als Lernort, der sich im Schlauchturm des Stiftungsdorfes Gröpelingen befindet. Dieser wurde insbesondere für Gruppenbesuche und Seminarveranstaltungen eingerichtet, in denen z.B. interkulturelle Kompetenzen, die im Umgang mit Menschen verschiedenster Hintergründe Anwendung finden, erworben werden können.