„In Deutschland wollten wir zwei Jahre lang bleiben, danach für immer zurückgehen. Mittlerweile sind 40 Jahre vergangen und ich lebe noch heute hier. An Rückkehr ist nicht mehr zu denken.“
Ayşe Budak lebt seit 1972 in Deutschland
Ich wurde 1950 in Üsküdar geboren.
Ursprünglich stammt meine Familie aus Istanbul. Wir sind fünf Geschwister, ich bin die einzige Tochter der Familie. Ich besuchte die Akademie der Künste für Mädchen, Fachbereich Schneiderei. Nach meinem Abschluss an der Akademie begann ich nicht zu arbeiten. Meine Eltern hielten es nicht für notwendig, dass ich als Mädchen Geld verdiente. Hinzu kam, dass es meiner Familie finanziell gut ging.
Mein Mann wanderte 1971 nach Deutschland aus und fing direkt bei AG-Weser an zu arbeiten. Als mein Mann während seines Urlaubs in die Türkei kam, verlobten wir uns.
Wir heirateten 1972.
Meine Eltern waren mit der Ehe nicht einverstanden, da ich die einzige Tochter der Familie war und sie nicht wollten, dass ich nach Deutschland mitgehe. Mit der Zeit allerdings konnten wir sie von unserer Beziehung überzeugen. Mein Mann hatte einen auf zwei Jahre befristeten Arbeitsvertrag unterschrieben. Danach wollten wir in die Türkei zurückgehen.
Als ich nach Deutschland kam, erlebte ich eine große Enttäuschung. Viele der in die Türkei Zurückgekehrten erzählten uns sehr positive Geschichten über Deutschland. Mit der Zeit fiel mir jedoch auf, dass vieles übertrieben dargestellt worden war. Da ich aus einer sehr großen Stadt wie Istanbul kam, war Deutschland für mich relativ ruhig und klein. Die Straßen waren leer. Ich kam mir vor wie in einem Dorf, war schockiert. Dies führte dazu, dass ich lange brauchte, um mich hier einzugewöhnen. Ich fühlte mich sehr einsam. Alleine traute ich mich nicht rauszugehen. Die deutsche Sprache beherrschte ich nicht. Nur wenn mein Mann rausging, begleitete ich ihn. Ansonsten verbrachte ich meine Zeit überwiegend in der Wohnung und wartete nur darauf, dass mein Mann von der Arbeit nach Hause kam.
Irgendwann entschied ich mich dafür zu arbeiten. Leider war mein Mann dagegen. Er wollte nicht, dass ich mit anderen Menschen in Kontakt komme. Anfang der 1970er Jahre lebten hier wenige Türken. Allerdings hatten wir auch zu ihnen keinen Kontakt.
Meine ältere Tochter wurde 1973 geboren, drei Jahre später kam die zweite. Von da an kümmerte ich mich um die Erziehung meiner Kinder. Mit der Geburt unserer Töchter entschieden wir uns dafür hier zu bleiben. Mit der Zeit begann unsere Ehe zu kriseln. Ich fühlte mich von meinem Mann eingeengt.
Im Jahr 1977 bekam ich psychische Probleme, was sich auf meine Gesundheit auszuwirken begann. Ich litt an großen Magenbeschwerden. Daraufhin fuhr ich mit den beiden Kindern zu meiner Familie in die Türkei. Meine Eltern merkten, dass es mir nicht gut ging. Deshalb ließen sie nicht zu, dass wir wieder nach Deutschland zurückkehrten. Wir lebten fünf Jahre lang von meinem Mann getrennt, bis er uns wieder nach Deutschland holte. Zunächst lebten wir in einer Mietswohnung in Lesum, später zogen wir nach Gröpelingen, wo meine Kinder aufwuchsen.
Von 1987 bis 1992 arbeitete ich bei Cafe Haag. Meine Kinder waren zu diesem Zeitpunkt schon groß. Anschließend eröffnete ich auf den Rat einer Bekannten hin meine eigene Schneiderei in der Bismarckstraße. Das Geschäft lief sehr gut und auch über meinen Verdienst konnte ich nicht klagen. Meine Kunden waren überwiegend Deutsche. Ich hatte nie Probleme mit ihnen und meine Arbeit gefiel ihnen sehr. Die größte Herausforderung stellte für mich die deutsche Sprache dar, die ich nicht gut beherrschte. Nach zwölf Jahren gab ich den Laden auf.
Mit der Schließung der AG-Weser wurde mein Mann arbeitslos, wodurch wir in finanzielle Schwierigkeiten gerieten. Uns standen nur meine Einkünfte zur Verfügung.
Von meinem Mann trennte ich mich im Jahr 2005. Meine Töchter sind inzwischen verheiratet und haben selbst Kinder.
Seit zehn Jahren lebe ich bei der Bremer Heimstiftung.
Ein Jahr nach der Trennung wurde ich an der Bandscheibe operiert, woraufhin ich in Frührente ging.
Ich denke nicht mehr daran, in die Türkei zurückzukehren. Meine Eltern leben nicht mehr und Istanbul ist inzwischen zu groß für mich. Es sind Ängste entstanden. Heute könnte ich nicht mehr in einer großen Stadt wie Istanbul leben. In die Türkei fahre ich nur noch in den Urlaub. In Deutschland wollten wir zwei Jahre lang bleiben, danach für immer zurück. Mittlerweile sind 40 Jahre vergangen und ich lebe noch heute hier. An Rückkehr ist nicht mehr zu denken. Die Kinder sind hier geboren und aufgewachsen, besitzen die deutsche Staatsbürgerschaft. Sie haben nicht die Probleme, die wir hatten. Ich wünsche mir von meinen Kindern, dass sie uns und unsere Geschichte nicht vergessen. Ihre Beziehung zur Türkei sollen sie aufrechterhalten und ihre Kultur nicht vergessen.