Biografien

Seher Tuştaş

„Doch wegen der Zukunft meiner Kinder hielt ich es noch aus.“

Seher Tuştaş lebt seit 1970 in Deutschland


Ich wurde 1941 in Adana geboren.

Als ich 20 Jahre alt war, heiratete ich meinen Mann und bekam zwei Kinder.

1965 ging mein Mann nach Deutschland, um als Tischler in einer großen Tischlerei zu arbeiten. Kaum war er in Deutschland angekommen, distanzierte er sich von uns; wir hatten lange Zeit keinen Kontakt zueinander. Wir machten uns damals große Sorgen um ihn. Später erfuhr ich, dass mein Mann eine deutsche Geliebte hatte und sie bereits zusammenlebten. Somit war er für uns keine finanzielle Stütze gewesen und da uns die Geldsorgen plagten, entschied ich mich, mit den Kindern zu meinen Eltern zurückzukehren.

Mein Schwager hatte meinen Mann lange und hartnäckig dazu gedrängt, den Kindern und mir eine Einladung nach Deutschland zu schicken, sodass wir uns 1970 schließlich auf den Weg machen konnten. Hier sah ich zum ersten Mal in meinem Leben Schnee, den ich gemeinsam mit meinen Kindern bestaunte.

Am Anfang fiel mir das Leben hier sehr schwer, denn ich beherrschte die deutsche Sprache nicht. Mein Mann untersagte mir zunächst den Kontakt zu anderen Menschen.

Damals lebten nur wenige Türken hier, aber untereinander hatten wir engen Kontakt. Wir unterstützten uns in allen Lebenslagen; für uns waren alle Menschen gleich.

Nach unserer Ankunft in Deutschland lebten wir die ersten Jahre mit der Geliebten meines Mannes zusammen. Obwohl mir diese Situation missfiel, sah ich keine andere Möglichkeit. Ich hatte weder Arbeit noch beherrschte ich die Landessprache. Mit zwei Kindern auf der Straße zu sein, konnte ich nicht riskieren. Von der Geliebten meines Mannes war keine Unterstützung zu erwarten, im Gegenteil: Sie erschwerte uns das Leben eher.

Nach kurzer Zeit fand ich einen Job und unterstützte damit die Familie. Leider war dies von kurzer Dauer, denn wegen meiner unzureichenden Deutschkenntnisse wurde ich gekündigt. Mein Mann und seine Geliebte arbeiteten auch nicht. Irgendwann fand ich jedoch wieder eine Stelle und konnte dank meiner neuen Arbeit bei „Ankerbrot“ unseren Lebensunterhalt bestreiten.

Eines Tages bekam die Geliebte meines Mannes einen Sohn, was mein Leben noch unerträglicher machte. Doch wegen der Zukunft meiner Kinder hielt ich es noch aus. Von diesem Moment an musste ich umso mehr für sie da sein. Ich kann mich noch sehr gut daran erinnern, dass ich oft weinend zur Arbeit ging, da ich die Kinder allein zu Hause lassen musste.

Ich wurde erneut schwanger und bekam einen Sohn.

Es war eine sehr schwere Zeit für uns, denn ich konnte ihn nicht stillen, aber gleichzeitig fehlte mir das Geld für Babynahrung.

Eines Tages fand ich auf der Straße 100 D-Mark, worüber ich sehr glücklich war.

Ich gab sie meiner großen Tochter, damit sie Babynahrung besorgen und für sich selbst und ihre Schwester etwas kaufen konnte. Diesen Augenblick habe ich nie vergessen.

Meine große Tochter konnte ich nicht zur Schule schicken, da sie auf ihren Bruder aufpassen musste. Die Polizei wurde auf unsere missliche Lage aufmerksam und meldete uns dem Sozialamt. Mein Sohn bekam schließlich eine Betreuung und meine Tochter konnte die Schule besuchen.

Ich zahlte meinem Mann das Geld für Miete und Strom, doch eines Tages stellte sich heraus, dass er schon lange nichts mehr überwiesen hatte. So landeten wir alle auf der Straße.

Mein Mann und seine Geliebte fanden schnell eine neue Wohnung, meine Kinder und ich dagegen blieben einen Monat lang bei meiner Schwester. Anschließend fanden wir durch die Unterstützung des Sozialamtes eine Wohnung.

Im Alter von 28 Jahren ließ ich mich von meinem Mann scheiden und meine Kinder blieben der Mittelpunkt meines Lebens.

Ich habe mich in Deutschland nie wohl gefühlt und meine Sehnsucht nach der Heimat war immer groß. Mir war bewusst, dass ich als alleinerziehende Frau in der Türkei nicht hätte leben können und das Leben ohne finanziellen Rückhalt zu meistern, wäre schwer gewesen. Deswegen kam die Rückkehr für mich nie ernsthaft in Frage.

Nach 22 Jahren bei „Ankerbrot“ wurde ich am Herzen operiert. Anschließend stellte ich den Antrag auf Frührente.

Ich erkrankte 2008 erneut an den Nieren und bin seither in Behandlung.

Seit dem Beginn meiner schweren Krankheit stehen meine Kinder eng an meiner Seite, sie lassen mich nicht alleine. Heute bin ich sehr stolz auf sie, denn sie haben einen Beruf erlernt und arbeiten. Ich habe um das Glück und die Gesundheit meiner Kinder gekämpft und deswegen vieles ertragen müssen.

Heute möchte ich nicht mehr in die Türkei zurück, mein Leben habe ich nach 30 schweren Jahren hier aufgebaut.