Biografien

Hanife Kara

„An meiner Seite stand immer ein Koffer zur Abreise bereit. Ich lebe zwischen zwei Welten.“

Hanife Kara lebt seit 1970 in Deutschland


Ich bin 1951 in Giresun, Görele geboren.

Ich heiratete 1965. Kurz danach ging mein Mann nach Deutschland und begann bei Bremer Vulkan als Schweißer zu arbeiten.

Mein Mann holte mich 1970 zu sich nach Deutschland.

Wir mieteten uns eine Einzimmerwohnung in Bremen-Vegesack. Die ersten Tage in Deutschland werde ich nie vergessen. Es war März, überall lag Schnee, wir konnten uns kaum oder nur sehr schwer fortbewegen. Alles war fremd für mich, ich kannte niemanden. Es fiel mir sehr schwer, das erste Mal alleine einkaufen zu gehen. Ich konnte weder lesen noch schreiben, was mir das Leben zusätzlich erschwerte. Zum ersten Mal bereute ich damals, dass ich nicht zur Schule gegangen war, denn mein Vater hatte es mir verboten. In den Dörfern gehörte es sich nicht als Mädchen die Schule zu besuchen.

Eines Tages ging ich alleine bei Edeka einkaufen, die kleinen Edeka-Läden waren zu der Zeit weit verbreitet. Zuhause angekommen, bemerkte ich, dass die Verkäuferin mir zu viel Geld zurückgegeben hatte. Daraufhin beschloss ich, das Geld zurückzugeben. Da wir uns nicht verständigen konnten, wurde ich abgewiesen. Das verletzte mich zutiefst.

Irgendwann lernten wir über unseren Vermieter eine türkische Familie kennen. Mit ihnen trafen wir uns sehr oft und unterstützten einander. Wir freuten uns stets, wenn wir jemanden trafen, der Türkisch sprach. Uns war es zu der Zeit relativ egal, aus welchen Orten der Türkei die Leute stammten.

Nach einer Weile machte ich Bekanntschaft mit den Ehefrauen der Arbeitskollegen meines Mannes. So erweiterten wir unseren Freundeskreis.

Eines der Probleme bestand darin, dass wir große Schwierigkeiten hatten, eine Wohnung zu bekommen. Deshalb entschlossen wir uns mit mehreren Familien, eine gemeinsame Wohnung zu mieten und Küche und Bad zu teilen.

Ich bekam zwei Kinder. Weil auch ich arbeitete, konnte ich nicht für sie sorgen. Deshalb brachte ich beide Kinder zu ihrer Großmutter in die Türkei. Zu diesem Zeitpunkt waren meine Tochter zwei Jahre und mein Sohn drei Monate alt. Leider war uns nicht bewusst, dass wir Anspruch auf Betreuungsplätze für unsere Kinder im Kindergarten hatten. Aus Unwissenheit machten viele Frauen denselben Fehler wie wir und schickten ihre Säuglinge zu ihren Verwandten in die Türkei.

Einen Teil des Geldes, das wir verdienten, schickten wir zu unseren Familien in die Türkei. Was übrig blieb, wurde für den Erwerb eines Hauses in der Türkei gespart. In Deutschland zu bleiben war nie unsere Absicht. Wir wollten stets zurückkehren. Paketweise kauften wir Haushaltswaren, Decken und Stoffe und legten sie zurück, für den Fall der Rückkehr in die Heimat.

Die Flugtickets waren damals sehr teuer. Deshalb fuhren wir mit dem PKW in die Türkei. Da die Reise dorthin sehr riskant und gefährlich war und mehrere Tage dauerte, bildeten wir mit anderen türkischen Familien Fahrgemeinschaften. Einige Tage vor der Reise organisierten wir alles, vor allem unsere Verpflegung für unterwegs. Trotz der mit der Reise verbundenen Anstrengungen waren wir glücklich. Wir waren jung und die langen Fahrten machten uns nichts aus. Mit vielen Pausen erreichten wir nach fünf Tagen die Türkei. Gerade läuft alles wie ein Film an mir vorbei. Ich werde sehr traurig, wenn ich daran zurückdenke.

Lange Zeit danach holten wir unsere beiden Kinder wieder zu uns zurück. Inzwischen waren meine Tochter 14 und mein Sohn neun Jahre alt. Meine Tochter kehrte aber kurze Zeit später wieder in die Türkei zurück, da sie sich nicht wohlfühlte und große Schwierigkeiten damit hatte sich anzupassen. Mein Sohn blieb bei uns.

Zu meinen zwei Kindern kam ein weiteres hinzu. Es wuchs bei uns auf.

Die Trennung von meinen Kindern machte mich immer unglücklich. Wenn ich zurückblicke, weiß ich heute, dass ich einen sehr großen Fehler gemacht habe. Ich bereue es zutiefst, sie in der Türkei gelassen zu haben.

Seit 1970 habe ich in vielen verschiedenen Firmen gearbeitet. Im Jahr 2006 ging ich in Rente.

Ich lebe schon fast 40 Jahre in Deutschland. An meiner Seite stand immer ein Koffer zur Abreise bereit. Ich lebe zwischen zwei Welten. In meinem Dorf in der Türkei lebt niemand mehr. Meine Eltern ließ ich Jahre vorher zurück. Auch sie leben nicht mehr.

Ich möchte nicht mehr zurück in die Türkei. Mittlerweile haben wir uns hier in Deutschland ein Leben aufgebaut.

Als mein Mann 2004 starb, fasste ich den Entschluss in die Bremer Heimstiftung zu ziehen. Ich wollte meinen Kindern nicht zur Last fallen. Hier lebe ich mit anderen älteren türkischen Migranten zusammen. Ich fühle mich hier sehr wohl und bin glücklich. Ali Eliş und seine Ehefrau Gudrun Münchmeyer-Eliş unterstützen uns in vielen Lebenslagen. Meine Kinder und Enkelkinder besuchen mich oft.

Ich wünsche mir von meinen Kindern und Enkelkindern, dass sie uns und unsere Geschichten nicht vergessen. Das wünsche ich mir von ganzem Herzen.