Biografien

Güner Çokiç

„In dem Moment vermisste ich meinen Mann so sehr, dass ich traurig wurde und weinte.“

Güner Çokiç lebt seit 1964 in Deutschland


Ich wurde 1938 in Izmir geboren und besuchte auf Wunsch und Drängen meines Vaters hin die Realschule.

Noch zu Schulzeiten, im Jahr 1959, lernte ich meinen Mann kennen und wir heirateten. Mein Vater allerdings war mit unserer Beziehung nicht einverstanden. Sein Wunsch war, dass ich einen Beruf erlernte. Die Familie meines Ehemannes hatte bei meinem Vater dreimal um meine Hand angehalten.

Mein Vater verwehrte ihnen seine Zustimmung, weshalb ich keine andere Lösung sah, als mit meinem Mann durchzubrennen. Diese Entscheidung konnte mir mein Vater jahrelang nicht verzeihen.

Innerhalb von sechs Jahren bekamen wir drei Kinder, ein Mädchen und zwei Jungen.

Eines Tages wurden wir auf eine Zeitungsanzeige aufmerksam: Europa warb um Arbeitskräfte.

Uns ließ der Gedanke nicht los, nach Europa auszuwandern, um ein besseres Leben als in der Türkei führen zu können.

Die Kinder waren zu der Zeit recht klein, sodass sich meine Schwiegermutter bereit erklärt hatte, sie zu sich zu nehmen. Sie stellte allerdings eine Bedingung: Sobald wir das Geld für ein Haus gespart hatten, sollten wir zurückkehren. Wir stimmten ihrem Wunsch zu.

Wir verkauften unser Hab und Gut, um uns in Istanbul bei der entsprechenden Behörde zu bewerben. Sehr schnell wurden wir vom Arbeitsministerium zu einer Untersuchung eingeladen. Am besagten Tag wurde ich als Erste untersucht und bekam sofort eine Zusage, mein Mann allerdings wurde wegen einer alten Operationsnarbe abgelehnt.

Ich kann mich noch sehr gut daran erinnern, dass wir deshalb sehr traurig waren und weinten.

Wie der Zufall es so wollte, lernten wir ein Ehepaar kennen, das in der gleichen Situation war wie wir: der Mann wurde abgelehnt, die Frau akzeptiert.

So schlossen wir Frauen uns zusammen und fuhren gemeinsam nach Heidelberg. Wir hatten selbstverständlich die Absicht, unsere Männer später zu uns zu holen.

In Deutschland wurden wir in Unterkünften einquartiert, die mich mit ihren Hochbetten in Schock versetzten. Alles war ungewohnt und vor allem die Trennung von den Kindern und von meinem Mann fiel mir sehr schwer.

Glücklicherweise lebte mein Bruder in Hamburg.

Er hatte gehört, dass es mir nicht gut ging und organisierte mir eine neue Arbeitsstelle in Bremen. Ich arbeitete im Park Hotel, wo ich mich gut verständigen konnte, da ich zum Glück Englisch sprach.

Während der Anfangszeit in Bremen war ich stets traurig. Eines Tages wurde im Park Hotel eine große Feier organisiert, zu der die Besucher in Begleitung ihrer Partner kamen. Sie waren alle gut gekleidet, sie tanzten und sangen. In dem Moment vermisste ich meinen Mann so sehr, dass ich traurig wurde und weinte. Ich gab mir selbst jedoch das Versprechen: Sollte mein Mann nach Deutschland kommen, würde ich zuallererst eine ähnliche Veranstaltung mit ihm besuchen und zusammen mit ihm feiern.

Nach einem Jahr holte ich meinen Mann zu mir nach Deutschland, wo er sehr schnell Arbeit im Baugewerbe fand.

Mit dem ersten Gehalt kaufte mir mein Mann ein sehr schickes Abendkleid und sich selbst ein Sakko. Wir gingen tanzen und waren die glücklichsten Menschen auf der Welt.

Jetzt fehlten nur noch unsere Kinder, die wir ein weiteres Jahr später zu uns holten. Die große Tochter ging gleich in die erste Klasse und die beiden Jungen zum Kindergarten.

Wir mieteten uns eine neue Wohnung. Die ‚Neuankömmlinge‘ hatten damals die Möglichkeit, Möbel und andere Gegenstände auf Raten zu kaufen, was wir in Anspruch nahmen.

Mein Mann machte sich zehn bis 15 Jahre später selbstständig und stellte unsere beiden Söhne an, damit sie den Beruf ihres Vaters erlernen konnten. So gewannen sie recht früh einen Eindruck vom Arbeitsleben.

Nach einigen Jahren erkrankte mein Mann sehr schwer und starb im Alter von 69 Jahren.

Wenn ich zurückdenke, haben wir unser Leben so gelebt, wie wir es uns vorgestellt hatten. Wir haben viel in die Zukunft unserer Kinder investiert.

Urlaubsreisen unternahmen wir zwar oft in die Türkei, es entstand jedoch nie der Gedanke zurückzukehren, denn wir hatten uns unser Leben hier aufgebaut.

Mittlerweile bin ich 77 Jahre alt. Ich vermisse meinen Mann sehr.