„Die Vorstellung, die ich von dem Leben in Deutschland gehabt hatte, wurde nicht erfüllt.“
Vildan Kurt lebt seit 2001 in Deutschland
Ich wurde 1951 in Balıkesir, Edremit geboren.
Mein Vater stammt aus Kocaeli, doch wegen seiner Arbeit zog er nach Izmir.
In Izmir ging ich auf die Realschule und machte anschließend meinen Abschluss an der Kunstschule für Mädchen. Später nahm ich an einer Prüfung bei einer Türkischen Bank teil, die ich bestand, sodass ich übernommen wurde und sofort anfangen konnte zu arbeiten.
Dort lernte ich meinen ersten Ehemann kennen und kurz darauf heirateten wir. Ich bekam vier Kinder, doch wir hatten Probleme in unserer Beziehung, weshalb wir uns 1993 voneinander trennten. Während der nächsten zehn Jahre war ich alleinerziehend.
Im Jahr 2001 lernte ich meinen zweiten Mann kennen, der in Deutschland lebte. Da es mir in der Türkei finanziell nicht gut ging, versprach mein neuer Mann, mir diesbezüglich zu helfen. Deshalb ließ ich meine Familie und die Kinder in der Türkei zurück und ging nach Deutschland.
Als ich nach Deutschland kam, war ich 50 Jahre alt. Die erste Zeit war sehr schwierig; ich war weder der deutschen Sprache mächtig noch kannte ich jemanden. Nach zwei Monaten begann ich, meine Entscheidung zu bereuen. Daraufhin wollte ich in die Türkei zurückkehren, doch irgendwie gelang es meinem Mann, mich davon zu überzeugen hier zu bleiben.
Um die Sprache zu lernen, besuchte ich Deutschkurse. Schriftlich war ich gut. Eines Tages hatte ich bei einer theoretischen Prüfung ein traumatisches Erlebnis, das zu einer Blockade führte und meine Psyche negativ beeinflusste. Aus diesem Grund konnte ich nicht weiter machen und verlor darüber hinaus viele der Kenntnisse, die ich mir bereits angeeignet hatte.
Mein Mann erlaubte es mir nicht, alleine hinauszugehen, was dazu führte, dass wir in immer größere Konflikte miteinander gerieten.
Er hatte mich weder verstanden noch wollte er mich unterstützen. Im Laufe der Zeit bemerkte ich die kulturellen Unterschiede und ich fühlte mich in unserer Ehe sehr einsam und unverstanden.
Als die erste Ehefrau meines Mannes verstorben war, hatte er eine andere Frau geheiratet. Die Ehe hielt nicht lange. Anschließend lernten wir uns kennen und heirateten, wie geschildert. Mein Mann brachte fünf Kinder mit in die Ehe, um die ich mich kümmerte. Sie waren wie meine eigenen Kinder.
Von Zeit zu Zeit war ich in unterschiedlichen Reinigungsfirmen tätig. Leider konnte mein Mann es nicht akzeptieren, dass ich arbeite. Trotz allem kündigte ich nicht. Es war sehr schwer. Mein Lohn wurde direkt auf sein Konto überwiesen. Er gab mir wenig Geld. Ich kann mich noch sehr gut daran erinnern, dass ich manchmal kaum Geld hatte, um mir eine Fahrkarte für den Weg zur Arbeit zu kaufen. All das musste ich in meinem Alter noch erleben! Das machte mich traurig und gleichzeitig fühlte ich mich erniedrigt. Die Ehe lief nicht gut. Obwohl ich das Leben liebte, hatte ich schwer mit unseren Eheprobleme zu kämpfen.
Mein Mann verstarb im Jahr 2010. Kurz darauf zog ich in die Bremer Heimstiftung. Heute lebe ich mit gleichaltrigen türkischen Migranten zusammen.
Nach dem Tode meines Mannes distanzierten sich viele meiner Freunde von mir. Ich habe mein Leben allein bestritten und bestreite es weiter allein.
Ich bekomme die Rente meines Mannes. Seine Pension reicht aber nicht aus, weshalb ich zusätzlich arbeiten muss. Seit vier Jahren arbeite ich in einer türkischen Firma als Köchin.
Mittlerweile denke ich nicht mehr daran, in die Türkei zurückzukehren. Inzwischen habe ich mir mein Leben hier aufgebaut, ich fühle ich mich wohl. Im Alter wird es mir hier besser ergehen, denn wenigstens habe ich eine Krankenversicherung.
Meine Mutter lebt noch in der Türkei. Meine vier Kinder haben dort geheiratet und sich dort niedergelassen.
Obwohl ich schon seit 15 Jahren hier lebe, beherrsche ich die deutsche Sprache noch immer nicht. Das macht mich sehr traurig.
Ich habe auch die deutsche Staatsbürgerschaft beantragt. Da ich allerdings nur einen befristeten Aufenthaltstitel besitze und nicht genug Deutsch spreche, wurde mein Antrag abgelehnt.
Mein Bruder verstarb 2015 an Krebs. Aus finanziellen Gründen konnte ich nicht bei seiner Beerdigung dabei sein. Heute bin ich sehr traurig darüber. Ich vermisse meine Familie.
Mit den Kindern meines Mannes stehe ich noch in Kontakt.
Die Vorstellung, die ich von dem Leben in Deutschland gehabt hatte, wurde nicht erfüllt. Inzwischen bin ich 65 Jahre alt. Wenn ich zurückblicke, sage ich mir: „Gut, dass ich hier in Deutschland geblieben bin.“
Mein Ziel ist es jetzt, Deutsch zu lernen, um erneut die deutsche Staatsbürgerschaft zu beantragen. Ich bin davon überzeugt , dass mir dieser Schritt das Leben hier ein bisschen erleichtern wird.