– unter diesem Motto haben deutsche und zugewanderte Frauen seit Oktober 2022 Erinnerungen und kleine Geschichten gesammelt.
Zur Online-Ausstellung im virtuellen Museum der Migration
Die Ergebnisse werden als Ausstellung in der Stadtbibliothek Gröpelingen gezeigt vom 10.10.2023 bis 16.11.2023.
Die Ausstellungseröffnung ist am 10.10.2023 um 11:30 Uhr
in der Stadtbibliothek West
Lindenhofstraße 53, 28237 Bremen
Die Bibliothek ist eine wichtige Einrichtung im Bremer Westen und wird seit 25 Jahren von Jung und Alt vielseitig genutzt. Sie ist auch Kooperationspartner des ZIS-Projektes „Bremer Netzwerk Demenz und Migration.“
Die Ausstellung kann während der Öffnungszeiten der Bibliothek, montags, dienstags, donnerstags und freitags von 11:00-18:00 Uhr, samstags von 10:00-13:00 Uhr, besucht werden.
Zur Eröffnung spricht Frau Zeynep Sümer, Mitglied der Seniorenvertretung Bremen und Vorstandsmitglied des ZIS-Zentrum für Migranten und Interkulturelle Studien. Das Projekt wurde gefördert durch WIN-Wohnen in Nachbarschaften.
Erläuterungen zu den Ausstellungstafeln
Der Themenbogen beginnt mit dem Reisen (1) und (2), über Schule (3) – (6), das Familienleben und die Gastfreundschaft (7), (8), (9) und die große Bedeutung der Nachbarschaft (10), Verwirklichung von Plänen im Erwachsenenleben (11) und schließlich die Frage nach einem Lieblings- oder wichtigen Ort der Erinnerung (12).
(1) Die Schokolade war ganz unten im Koffer
Urlaubsreisen waren nicht immer eine Selbstverständlichkeit in Deutschland. Wer war eigentlich in der Freizeit unterwegs in den sechziger Jahren? Familien, die sich ein Auto leisten konnten, begannen mit Ausflügen oder auch Reisen in den „Süden“, zum Beispiel nach Italien. Die „Gastarbeiter“ fuhren mit vollgepackten Autos mit Geschenken in die „Heimat“ und kamen wieder mit Dingen aus der „Heimat“, die sie in Deutschland vermissten. Auch Deutsche haben ihre Verwandten in den Ferien besucht. Wenn sie Verwandte in der ehemaligen DDR hatten, wurden auch „Westwaren“ eingepackt.
(2) Früher hatten wir noch Fotoapparate
Das Thema Reisen erzeugt weitere Assoziationen: Die Vorbereitungen, das Reisefieber, die Kommunikation in verschiedenen Sprachen. Und der Wandel der Zeit wird hier sehr deutlich. Um sich zu orientieren brauchte man Landkarten, Wörterbücher und man musste sich auch mal durchfragen. (Ohne Handy und google maps)
(3) Den ersten Füller bekamen wir zu Weihnachten
Das Thema Schule nimmt einen großen Raum in der Ausstellung ein. Es zeigt, wie wichtig diese Lebenszeit für die Frauen war. Lang zurückliegende Ereignisse aus der Kindheit werden erinnert und haben viele der teilnehmenden Frauen emotional geprägt. Wir beginnen hier mit Erlebnissen aus der Grundschulzeit. Gerade hier reihen sich Gemeinsamkeiten aneinander. Geradezu aufregend ist die Entdeckung, dass die gleiche Tinte in Deutschland und der Türkei benutzt wurde. Die Sorgfalt der Eltern für ihre Kinder, die möglichst alles Notwendige bekommen sollten, um gut durch die Schule zu kommen, ist auch eine gemeinsame Erinnerung.
(4) Meine Freundin wurde eingeschult und ich musste zuhause bleiben!
Die Schule war nicht nur ein Ort des Lernens. Freundschaft und soziales Leben hat in allen Herkunftsländern der Frauen eine wichtige Rolle gespielt. Wie schön, wenn die Schule ein Ort war, an dem sie sich wohl fühlten und sogar stolz auf ihre Schule waren und manchmal das Ende der Ferien gar nicht abwarten konnten!
Wie bitter muss es für Menschen gewesen sein, keine Schule besuchen zu können oder nur eingeschränkt. Das ganze Leben lang begleitet sie dieser Verlust, auch wenn sie als Erwachsene in Kursen oder autodidaktisch Grundkompetenzen nachholen konnten.
(5) Die Plumpsklos waren in einem extra Gebäude
Die Schulzeit brachte aber auch große Herausforderungen mit sich: große Klassen, zu wenig Lehrer:innen. Trotzdem haben sie als Kinder diese Zeit genossen. Draußen zu spielen, betrachten viele in der Rückschau als Freiheit, ebenso wie den unbekümmerten Umgang von Jungen und Mädchen miteinander. Darin schwingt die Sorge bei einigen Türkei-stämmigen Frauen mit, dass ihre Enkelkinder womöglich in der heutigen Zeit weniger Entfaltungsfreiheit haben könnten als sie – ihre Großmütter.
(6) Fräulein Lutz und Öğretmenim
Die Grundschullehrerin – was für eine wichtige Person im Leben der Frauen dieses Projektes! (nur dieser?) Es wäre mal interessant herauszufinden, wie viele Menschen sich bis an ihr Lebensende an den Namen ihrer ersten Lehrerin oder ihres Lehrers erinnern können.
(7) Und dann wurden märchenhafte Geschichten erzählt
Spielen, Erzählen, der Umgang der Erwachsenen mit den Kindern zuhause: Hier gibt es sehr unterschiedliche Erfahrungen bei allen Teilnehmenden. Insgesamt haben die Kinder sich mehr als heute im Freien aufgehalten. Die Türkei-stämmigen Frauen erzählen besonders viel von den gegenseitigen Besuchen in der Nachbarschaft und dass die Eltern wenig Zeit allein mit ihren Kindern verbracht haben.
(8) Tischdecken waren früher schöner!
Es wurde darüber gesprochen, welche Bedeutung das gemeinsame Essen hat und welche Rolle dabei Rituale spielen. Auch wenn die Rituale und Gewohnheiten unterschiedlich sind, so stellt sich doch heraus, dass alle großen Wert auf eine schöne Gestaltung rund um das gemeinsame Essen legen.
(9) Kaffee oder Tee?
Gemeinsam Kaffee oder Tee zu trinken, verbindet. Auch hier gibt es schöne Rituale, über die sich alle gerne austauschen. Und es gibt noch immer Neues zu entdecken, das man sich gegenseitig zeigen und ausprobieren kann.
(10) Komşu annem
Die unterschiedlichen Bezeichnungen für Großmütter und Großväter in verschiedenen Sprachen angelegt aber auch im Erfindungsreichtum der Kinder zeigt die Bedeutung der Beziehungen der Kinder zu ihren Großeltern bei allen Teilnehmenden. Bei einigen Frauen aus der Türkei kommt noch hinzu, dass die Nachbarschaft so eng ist. Kinder, die zusammen spielen, entwickeln dort auch manchmal enge Verhältnisse zu den Müttern ihrer Spielkamerad:innen.
(11) Von meinem ersten gesparten Geld habe ich eine Nähmaschine gekauft
Wie ging es weiter im Leben? Was waren die Pläne beim Erwachsenwerden? Ausgehend von ganz unterschiedlichen Voraussetzungen, die die Frauen hatten, fielen diese auch sehr verschieden aus. Die Teilnehmerinnen sind unterschiedlich alt: direkt nach dem Krieg eingeschult in Deutschland oder acht Jahre später macht schon einen großen Unterschied, ebenso die Unterstützung, die die Familien bieten konnten in Deutschland oder anderswo. Die Türkei-stämmigen Frauen haben auch sehr unterschiedliche Voraussetzungen gehabt: einige sind in Großstädten aufgewachsen, andere in kleinen Dörfern. Die Eltern hatten unterschiedliche Bildungshintergründe, wobei nicht automatisch ein Aufstieg an eine gut zu scheinende Voraussetzung gekoppelt war. Wenn die Familie viele Kinder hatte, wurde oftmals zuerst den ältesten Söhnen eine kostspielige Ausbildung ermöglicht. Das war auch noch lange in Deutschland so. Den Türkei-stämmigen Frauen dieses Projektes ist gemein, dass sie alle nach Deutschland gekommen sind mit dem Ziel, dass die Familie ein besseres finanzielles Auskommen haben sollte. In den meisten Fällen wollten die Frauen auch einer Erwerbstätigkeit nachgehen. In manchen Fällen wollten ihre Ehemänner sie davor „schützen“. Auch in Deutschland hieß es oft noch von Seiten deutscher Ehemänner: „Meine Frau braucht nicht arbeiten.“ Jetzt als Rentnerinnen sagen viele, dass sie stolz sind, ihr eigenes Geld verdient zu haben.
Was außerdem auffällt, ist, dass mehrere der ältesten Teilnehmerinnen Schneiderin gelernt haben und Frauen aus der Türkei mit diesem Beruf in die Selbständigkeit gegangen sind. Sich gut zu kleiden, hat insgesamt für alle eine große Rolle gespielt. Vielleicht war der Beruf deshalb auch beliebt?
(12) Erinnerungsorte?
Die Frage nach einem persönlichen wichtigen Ort war der Ausgangspunkt im Projekt mit der Gruppe und soll nun die Ausstellung abrunden. Die Frage rührt an viele Emotionen und so sollen die unterschiedlichen Aussagen einfach für sich stehen ohne weitere Erläuterungen.
Zum Schluss:
Die Auswahl, Zusammenstellung sowie die Erläuterungen meinerseits sind natürlich subjektiv von meinen Wahrnehmungen geprägt. Trotz aller Rücksprachen mit den teilnehmenden Frauen, gibt es vielleicht noch Verbesserungsbedarf. Das Internet gibt uns die Möglichkeit zu Ergänzungen und Korrekturen. Die nehme ich gerne auf!
Gesammelt von Oktober 2022 bis Mai 2023.
Zusammengestellt von Gudrun Münchmeyer-Eliş
Projektleitung und Gestaltung:
Gudrun Münchmeyer-Eliş, Dipl. Sozialwissenschaftlerin
ZIS – Zentrum für Migranten und Interkulturelle Studien e.V.
Gröpelinger Heerstraße 228, 28237 Bremen
Tel. 01575 967 4321
gudrunelis@zis-tdi.de
Das Projekt „Gemeinsamkeiten entdecken“ wird gefördert durch WIN – Wohnen in Nachbarschaften