Es sind Geschichten der Migration nach Deutschland, deren Ziel es urprünglich gewesen war, materielle Sicherheit für ein zukünftiges Leben in der Türkei zu schaffen. Und letztlich sind es doch Geschichten der Abkehr von der Idee der Rückkehr: Hier zu bleiben und hier zu leben- diese Entscheidung hat die Lebensläufe der Migrant*innen nachhaltig geprägt.
Die Grundlage unseres Virtuellen Museums bilden schon mehr als 50 Lebensgeschichten von Bremer Arbeitsmigrant*innen, größtenteils von Personen aus dem Bremer Westen. Um einen tieferen Einblick in den historischen Kontext zu vermitteln, wurde der Hintergrund der Arbeitsmigration in die damalige BRD, nach Bremen und bis jetzt nach Gröpelingen in Text und Bild aufbereitet. Dieses haben wir mit weiteren Lebensläufen, Handabdrücken, Biografien und Fotos aus dem Schweizer Viertel erweitert.
Ayhan Giray
„Schon früher als Kind habe ich immer von Deutschland gesprochen und geschwärmt“
Ich bin 1956 in Ankara geboren, allerdings mussten wir ständig umziehen aufgrund der beruflichen Situation von meinem Vater. Wir haben zuletzt in Balıkesir mit meinen drei weiteren Geschwistern und meinen Eltern gewohnt. Dort habe ich meinen Abschluss in einer Nähschule gemacht. Mein Vater war ein Offizier und deshalb wurden wir immer mit dem Militärauto von Soldaten zur Schule gebracht. Wir waren immer in Begleitung von Soldaten, sie haben uns bei unseren Einkäufen geholfen oder haben uns zum Arzt gefahren. Meine Kindheit war bis zu meinem 18. Lebensjahr wunderschön.
Kurz bevor ich 18 Jahre alt wurde, habe ich meinen Ex-Mann kennengelernt und habe mich verliebt. Innerhalb von einer Woche oder 10 Tagen bin ich mit meinem Ex-Ehemann abgehauen und wir haben anschließend geheiratet.
Meine Familie hatte mir die Ehe mit ihm nicht erlaubt und deshalb sah ich das als einzige Lösung für mich. Mein damaliger Ehemann war zu Besuch in der Türkei, als wir uns kennengelernt haben, er hat zu dem Zeitpunkt schon in Deutschland gewohnt.
Ich war erst zwei Monate verheiratet, als ich 1976 nach Deutschland kam. Ich bin mit dem Flugzeug von Balikesir nach Bremen direkt geflogen. Ich war gerade erst 20 Jahre alt.
Schon früher als Kind habe ich immer von Deutschland gesprochen und geschwärmt. Wir hatten Nachbarn, die immer wieder in Deutschland waren und immer gute Autos gefahren sind und vieles mehr. Als ich dann jedoch in Deutschland ankam, hatte ich ganz andere Vorstellungen vom Leben. Ich kam von einer finanziell guten Familie plötzlich in ein Haus mit 12 anderen Menschen, das war ein Schock für mich. Ich hatte mir erträumt, ein eigenes Haus zu kaufen, um meine Kinder so aufziehen zu können, wie ich es mir vorgestellt habe, ich wollte ihnen was bieten können. Ich muss dazu allerdings sagen, dass ich es überhaupt nicht bereue, nach Deutschland gekommen zu sein, im Gegenteil. Ich kann mir nicht mehr vorstellen, zurück in die Türkei zu ziehen. Damals bin ich erst nach 4 Jahren das erste Mal wieder in die Türkei zu meiner Familie geflogen.
Mein erstes Kind wurde 1977 geboren, mein zweites Kind 1982 und mein letztes Kind 1986. Ich kann mich noch gut daran erinnern, dass ich ganz alleine war, als ich meine erste Tochter auf die Welt gebracht habe. Keiner war da und ich konnte die Sprache nicht, das war eine sehr schwere Zeit für mich.
Ich bin erst dieses Jahr im Oktober in Rente gegangen, bis dahin habe ich 45 Jahre lang gearbeitet. Ich habe nach zwei Monaten Aufenthalt in Deutschland in einer Wäscherei in Hemelingen angefangen zu arbeiten für ungefähr 4 Jahre. Meine Schwiegereltern haben immer auf meine drei Kinder aufgepasst, damit ich arbeiten gehen konnte. Meinen Ex-Mann habe ich vielleicht einmal die Woche gesehen, weil er immer woanders war.
1980 habe ich angefangen, in Bremen Mitte die Operationssäle zu putzen. Das habe ich 39 Jahre lang mit viel Freude gemacht. Das Arbeitsklima war dort unglaublich schön, sie haben mich dort einfach so akzeptiert wie ich war. Dass ich die deutsche Sprache nicht gut konnte, war für die anderen kein Problem, sie haben mich trotzdem irgendwie verstanden und haben versucht mir die Sprache beizubringen. Sie fragen bis heute noch nach mir, wann ich wiederkomme, so innig waren wir alle. 2004 habe ich mich von meinem Ehemann geschieden, wir waren 30 Jahre verheiratet.
Deutschland gibt mir Sicherheit und Freiheit, auch als alleinstehende Frau.
Ich finde es schön, dass die heutige Generation das sagen kann, was sie möchten und auch für die Dinge, die sie als richtig empfinden, einstehen können und tun. Jeder von ihnen sollte sich dennoch beruflich absichern und erst mal seinen beruflichen Weg festigen, bevor er oder sie an das Heiraten denken sollte. Jeder sollte die Möglichkeit zur Freiheit bekommen.
Aynur Arar
„Wir haben Deutschland lieben gelernt und ich bin sehr dankbar hier zu sein und möchte es auch nicht mehr missen“
Ich bin 1951, in Bilecik, Marmara geboren. Ich konnte leider nur bis zur Grundschule zur Schule gehen. Ich hatte eigentlich den Traum weiter zur Schule zu gehen und mich weiterzubilden, aber mein Onkel meinte zu meiner Oma „Wozu soll ein Mädchen zur Schule gehen, wenn sie heiratet, dann wird sich ihr Mann um sie kümmern.“, da war ich unglaublich traurig. Dadurch dass meine Mutter früh verstorben ist und mein Vater und meine Stiefmutter sich nicht um mich gekümmert haben oder konnten, musste ich zu meinem Onkel nach Istanbul ziehen.
Mit 16 Jahren habe ich dann 1966 mit meinem Mann geheiratet und war Hausfrau und Mutter.
Ich bin als Arbeiterfamilie 1971 nach Deutschland gekommen. Mein Mann ist 1970 nach Holland zum Arbeiten hingegangen und ist anschließend nach ein paar Monaten nach Deutschland gefahren, um dort weiterzuarbeiten. Sieben bis acht Monate später hat er mich und unsere zwei Töchter dann aus der Türkei mit dem Flugzeug hierher geholt. Dann wurde ich recht schnell schwanger und bekam dann unser drittes Kind und irgendwann das vierte Kind in Deutschland. Als ich nach Deutschland kam, war es für mich am Anfang sehr schwer, denn ich bin bei meinem Onkel in Istanbul groß geworden und habe dort wie eine Art Prinzessin gelebt und hatte ein gutes Leben. In Deutschland konnte ich weder die Sprache noch hatte ich ein gutes Leben zu Anfang.
Übergangsweise habe ich 1974 ein Jahr lang als Putzfrau in der Roland-Klinik gearbeitet.
Danach habe ich bei Martin Kiefer in der Innenstadt angefangen, in der Küche für ein Jahr zu arbeiten, habe dort ebenfalls geputzt und Teller gewaschen. Ich erinnere mich daran, dass ich eine weiße Schürze und ein weißes Haarband tragen musste und abends vor dem Deichmann die Straßen weinend gefegt habe. Die erste Zeit war unglaublich schwer und unangenehm für mich, ich dachte alle schauen mich an.
Dadurch dass ich keine Familie hier hatte, war ich gezwungen, meine drei Kinder in die Türkei zu bringen und bei meinen Eltern für 3 bis 4 Jahre zu lassen. Das war eine sehr schwere Entscheidung für mich, aber ich hatte keine andere Wahl.
Anschließend habe ich noch bei Siemens für 2 Jahre gearbeitet und bin dann in eine Maschinenfabrik gewechselt in Bremen und habe dort 1 Jahr lang gearbeitet.
Als ich bei Siemens gearbeitet habe, kannte ich am Anfang den Weg zurück nach Hause nicht. Eine Bekannte meinte zu mir: “Du musst zur Domsheide laufen und dann steigst du einfach in die Bahn ein, wo ganz viele Türken immer einsteigen und dann kommst du schon nach Hause.“. Als alle dann ausgestiegen sind, ist jeder in eine andere Richtung gelaufen und ich stand dann dort in Hemelingen und hatte keine Orientierung. Ich bin die Straßen hoch und runter gelaufen und bin letzten Endes wieder zurück zur Bahnstation gelaufen. Ich kam nicht auf die Idee oben auf den Bussen oder Bahnen zu lesen, wohin sie fahren und dann habe ich eine Frau mit meinem gebrochenen Deutsch gefragt „Ich Domsheide gehen, hier?“ und dann hat sie mir geholfen die richtige Bahn zu nehmen. Ich habe damals geweint und hatte Angst, weil ich so verzweifelt war. Als wir in eine neue Wohnung nach Kattenturm gezogen sind kam eine Frau und ein Mann zu mir, beide waren sichtlich angetrunken, und meinten zu mir „Du hast diese ganzen guten Möbel nur weil du in Deutschland bist, hast du sowas überhaupt in der Türkei gesehen?“. Ich habe mein ganzes Leben nur gearbeitet, ich habe zwei Jobs parallel gemacht. Ich bin morgens um 4 Uhr aufgestanden und bin zu meiner Arbeit gefahren habe dort 2 Stunden geputzt und bin um 12 Uhr wieder zur nächsten Arbeit gefahren. Wir haben mit Schweiß und Tränen uns das aufgebaut was wir heute haben.
Zuletzt habe ich in einer Schule in der Neustadt als Putzfrau bis zu meiner Frührente 1995 gearbeitet. Ich habe damals sehr stark an Glieder- und Muskelrheuma gelitten und musste immer wieder ins Krankenhaus und war aufgrund dessen 1993 in einer Kur für 6 Wochen.
Wir sind mit dem Gedanken, zu arbeiten, Geld anzusparen und wieder zurück in die Türkei zu fahren, nach Deutschland gekommen. Doch es kam anders als geplant. Das erste Mal bin ich nach 1 ½ Jahren wieder in die Türkei zu meiner Familie geflogen.
Wir haben Deutschland lieben gelernt und ich bin sehr dankbar hier zu sein und möchte es auch nicht mehr missen. Ich habe eine deutsche Nachbarin, Ursula, mit der ich schon lange sehr eng befreundet bin. Wir sind immer wieder zusammen in die Türkei geflogen, sie hat meine ganze Familie dort kennengelernt, so eng waren wir.
In Deutschland hält mich insbesondere meine Familie, meine Kinder, meine Enkelkinder, meine Nachbarn und Freunde, die ich jetzt schon seit mehr als 50 Jahren kenne und liebe. In der Türkei bin ich nur noch eine Ausländerin und in Deutschland nicht.
Ich habe die deutsche Sprache durch meine Arbeit, meinen Mann und meine Kinder kennengelernt. Meine Kinder haben beispielsweise immer deutsches Fernsehen geschaut und dadurch habe ich langsam, Stück für Stück, die Sprache gelernt.
Ich erinnere mich noch genau an eine Situation, wo mir mein damaliger Chef einen Brief in die Hand gedrückt hatte und da stand irgendwas mit „Kündigung“ drauf, aber ich wusste nicht, was es bedeutet. Meine Kinder haben immer einen Film oder eine Serie geschaut, wo sie immer wieder das Wort „König“ gesagt haben und ich dachte mir in dem Moment da steht sowas drinnen wie „du machst deine Arbeit nicht vernünftig, weil du denkst du seist eine Königin.“. Dann bin ich nach Hause gegangen und habe es meinem Mann gezeigt und er meinte, sie haben dir gekündigt, diesen Moment werde ich nicht vergessen.
Mein Rat an alle neueren Generationen ist, geht zur Schule, lernt fleißig, erlernt euren Beruf und verliert eure Ziele nicht aus den Augen.
Aysel Ulçetin
„Familie ist unglaublich wichtig, schätzt sie solange ihr könnt“
Ich bin 1949 in Denizli geboren und habe leider keinen Beruf erlernt. Das erste Mal habe ich mit 18 Jahren geheiratet. Ich war mit meinem alten Ehemann ungefähr 10 Jahre verheiratet. Ich habe zwei Kinder aus der alten Ehe mit in die neue gebracht, die beiden leben allerdings in der Türkei.
1962 bin ich mit einem Touristenvisum nach Deutschland gekommen. Ich bin zu meiner Schwester gegangen und wollte eigentlich drei Monate später wieder zurückkehren. Danach haben sich Verwandte aus Hildesheim bei mir gemeldet und haben mich gefragt, ob ich mir vorstellen könnte, zu heiraten. Dem habe ich zugestimmt und gesagt, warum eigentlich nicht. Daraufhin habe ich meinen jetzigen Mann kennengelernt und wir haben 1962 geheiratet. Wir haben zwei Kinder zusammen bekommen, 1983 und 1988, und sind seit 40 Jahren glücklich verheiratet. Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie ich mit dem Auto im Winter über Österreich nach Deutschland gekommen bin, das war eine der schönsten Fahrten.
Anfangs war es sehr schwer für mich hier in Deutschland, ich habe fünf Jahre gebraucht, um mich etwas daran zu gewöhnen. Ich konnte weder die Sprache noch kannte ich irgendwas von dort. Aber ich war schon immer ein sehr offener und neugieriger Mensch. Eines Tages habe ich mich ganz alleine auf dem Weg in die Stadt gemacht. Als ich von der Stadt wieder nach Hause gehen wollte, habe ich mich verlaufen und mein Haus nicht mehr gefunden. Zu der Zeit hatte ich kein Handy, mit dem ich einfach Leute anrufen konnte. Ich habe dann eine Frau gefunden, die ein Telefon zu Hause hatte und mit dem ich dann meinen Mann anrufen konnte. Er hat mir dann versucht den Weg zu beschreiben und hat mich dann von dort aus abgeholt.
Ich bin jedes Jahr in die Türkei zu meiner Familie geflogen. Kommunizieren konnten wir anfangs nur mit Briefen und danach über das Telefon. Mein Mann hat mich leider nie viel arbeiten lassen, deshalb war ich nur Hausfrau und Mutter. Ich habe sieben bis acht Jahre lang als Putzfrau für ein paar Stunden gearbeitet. Da ich die Musik liebe habe ich mir einen Chor hier gesucht und singe da seit einigen Jahren. Die deutsche Sprache habe ich leider nie richtig gelernt, nur durch meine Kinder und meinen Mann ein wenig. Zu Arztbesuchen oder anderen Terminen hat mich entweder mein Mann oder meine Kinder begleitet. Hinzu kommt, dass ich eigentlich nur türkische Freunde hatte, weil ich eben die deutsche Sprache auch nicht gut konnte und dadurch wurde es dann natürlich auch nicht besser mit meiner Sprachkenntnis. Zu Anfang wollte ich immer wieder zurück in die Türkei gehen. Mein Mann wollte hier ein Haus für uns kaufen und ich habe nein gesagt, weil ich zurück in die Türkei ziehen und dort leben wollte und dann haben wir ein Haus in der Türkei geholt. Jetzt kann ich mir es nicht mehr vorstellen zurückzuziehen wegen meiner Kinder. Ich war dieses Jahr für fünf Monate in der Türkei und habe meine Kinder und Enkelkinder vermisst.
Das, was ich den neueren Generationen mitgeben möchte, ist: Familie ist unglaublich wichtig, schätzt sie solange ihr könnt.
Kemal Ipek
„Es ist wichtig, sich zu integrieren und sich anzupassen. Wir Menschen müssen lernen, unser Gegenüber zu respektieren und zu akzeptieren, wie sie sind. Denn, Mensch ist Mensch“
Ich bin 1961 in Izmir geboren und hatte 2 weitere Geschwister. 1967 bis 1978 bin ich zur Schule gegangen. In der Türkei habe ich eine Ausbildung als Dreher gemacht. 1978 habe ich meinen Abschluss gemacht und wollte studieren. Aufgrund der vielen Terroranschläge in der Türkei konnte ich 1978 nicht zur Universität gehen. Dafür habe ich dann die Arbeit von meinem Vater für zwei Jahre übernommen und angefangen als Taxifahrer zu arbeiten und konnte meinem eigentlich erlernten Beruf nicht nachgehen.
Mein Opa kommt ursprünglich aus Kosovo. 1915, als der erste Weltkrieg war, ist mein Opa mit seinen vier weiteren Geschwistern zu Fuß in die Türkei geflohen. Mein Opa hat später in vielen Kriegen der Türkei gedient, wie zum Beispiel dem Zweiten Weltkrieg. 1965 ist er verstorben. Seine drei Schwestern hat er das letzte Mal auf der Flucht 1915 gesehen. 60 Jahre lang hat er sie nicht gesehen. Als wir in die Türkei in den Urlaub geflogen sind, habe ich aus Zufall jemanden kennengelernt, der aus Kosovo kam. Der Mann meinte zu mir, dass ich Verwandte in Kosovo habe in einem Dorf. Ich meinte zu ihm, dass das nicht sein kann und ich davon nichts weiß. Er zeigte mir daraufhin ein Foto von jemandem. Wir sind anschließend in den Kosovo rüber gefahren mit dem Auto und sind dann in dieses Dorf zur Polizeiwache gegangen und haben nach Familiennamen nachgefragt. Wir haben ungefähr 15 Minuten gewartet und ich habe gesehen, wie 20 Menschen in die Polizeistation rein gingen. Ich habe die Leute angeguckt und ich sah auf einmal jemanden, der meinem Onkel so sehr ähnelte, dann sah ich eine Frau, die eins zu eins wie meine Tante aussah. Das war für mich surreal. Im nächsten Jahr sind wir wieder in die Türkei gefahren und haben uns in der Türkei mit unseren Verwandten aus Kosovo getroffen. Von dem Zeitpunkt an haben wir uns jedes Jahr gesehen.
Meine Frau habe ich in der Türkei kennengelernt, wir beide kamen aus demselben Dorf.
1980 im Juni habe ich mit meiner Frau in der Türkei geheiratet und einen Monat später bin ich nach Deutschland gekommen. Zu dem Zeitpunkt war ich 19 Jahre alt. Ich bin mit der Familie meiner Frau mit dem Auto nach Deutschland gefahren, das Ganze hat ungefähr 2 bis 3 Tage gedauert. Ich bin direkt nach Bremen Osterholz gekommen und wohne hier schon 42 Jahre lang. Mein eigentliches Ziel war nach Deutschland zu kommen und hier Architektur zu studieren, weil ich es in der Türkei aufgrund der Terror-Situationen nicht machen konnte. 1981 und 1983 wurden unsere zwei Söhne geboren. Anfangs habe ich mit dem Gedanken gespielt, wieder zurück in die Türkei zu ziehen, aber als dann nach 5 Jahren unsere zwei Kinder zur Welt kamen, war das keine Option mehr für uns beide. Ich hätte gerne mein Leben in der Türkei geführt. Wir haben in einem Dorf in der Nähe vom Meer gewohnt und eines meiner Hobbys ist es zu angeln, zu tauchen und zu schwimmen, das hätte ich jetzt gerne dort gemacht.
Dennoch sind wir vier Mal im Jahr in die Türkei geflogen, um unsere Familien zu sehen. Den Kontakt zu unserer Familie in der Türkei konnten wir zuerst nur über Briefe halten, später kamen dann die Möglichkeiten mit Telefonen zu kommunizieren. 1981 habe Ich einen deutschen Sprachkurs besucht. Dadurch konnte ich mich bei notwendigen Dingen, wie beispielsweise Arztbesuche, gut verständigen.
3 Jahre nachdem ich in Deutschland war, habe ich das erste Mal angefangen richtig zu arbeiten. 1983 habe ich ein Jahr lang in der Gastronomie gearbeitet und habe zudem eine Fortbildung als Koch gemacht. Darauf das Jahr habe ich als Schweißer für Container am Hafen gearbeitet. Parallel habe ich trotzdem als Aushilfe beim Weser Kurier gearbeitet. 1985 habe ich dann offiziell bei der Bremer Anzeige, der Tochterfirma des Weser Kuriers, angefangen zu arbeiten. Insgesamt war ich 38 Jahre lang dort. Die ersten 10 Jahre war ich an den Maschinen tätig, danach habe ich im Bereich als Versandkoordinator gearbeitet. Sowohl meine Frau als auch mein Sohn haben irgendwann mit mir zusammen beim Weser Kurier gearbeitet.
2019 habe ich meinen Job aufgrund der Corona-Pandemie verloren. Nächstes Jahr komme ich in Rente.
Es ist wichtig, sich zu integrieren und sich anzupassen. Wir Menschen müssen lernen, unser Gegenüber zu respektieren und zu akzeptieren, wie sie sind. Denn, Mensch ist Mensch.
Nazlı Çiçek
„Es ist wichtig, dass die neueren Generationen ihre Wurzeln nicht vergessen und die Möglichkeit zur Mehrsprachigkeit schätzen, das wird euch viele Türen offen halten und euch weiterbringen“
Ich bin in Kayseri, Uzun Yayla, geboren. Ich durfte leider nur bis zur dritten Klasse zur Schule gehen und konnte keinen Beruf erlernen. Mit 16 Jahren habe ich geheiratet und in der Türkei zwei Kinder auf die Welt gebracht.
Bevor ich mit meinem Mann geheiratet habe, hat er 3 Jahre in Deutschland gearbeitet, danach haben wir geheiratet, ein Jahr später ist er wieder zurück in die Türkei gekommen, um dort auch fest zu bleiben. Nach zwei Jahren ist er wieder nach Deutschland gegangen und hat uns dann anschließend ein Jahr später 1972 nach Deutschland gebracht. 1972 bin ich mit meinen zwei Kindern und meinem Mann mit dem Zug nach Deutschland, München, gekommen. Von dort aus sind wir mit einem weiteren Zug nach Bremerhaven gefahren, die Zugfahrt war sehr schwer für mich.
Mein Sohn hat sich mit zwei Jahren seine Hand verbrannt und wir mussten zwei Tage nach der Verbrennung nach Deutschland fahren. Die Fahrt hat ungefähr 4 bis 5 Tage gedauert und während der Fahrt hatte eine andere türkische Familie eine Creme dabei, die wir draufgeschmiert haben, weil wir dachten, dass es dadurch besser wird. Aber die Creme hat es nur noch verschlimmert, sodass die Hand von meinem Sohn immer mehr angeschwollen ist. Als wir dann in Bremerhaven waren, haben wir ihn direkt ins Krankenhaus gebracht und dort musste er 21 Tage lang alleine im Krankenhaus liegen. Ich konnte weder die Sprache noch durfte ich zu ihm rein oder wusste, was er genau hat und was noch gemacht wird, das war schrecklich für mich. Zu dem Zeitpunkt war ich erst 22 Jahre alt. Nur mein Mann konnte sich etwas verständigen und übersetzen.
Dadurch, dass mein Mann 1971 zur Arbeit nach Deutschland gekommen ist, hat er zuerst in einem Heim gewohnt. Aufgrund dessen haben wir erstmal 15 Tage bei Freunden gewohnt, bis wir 1972 eine eigene Wohnung gefunden hatten. Dort haben wir in einer Wohnung ohne richtiges Bad gewohnt. Wir mussten uns mit einer Waschschüssel waschen und haben uns die Toiletten mit ungefähr 3 bis 4 anderen Familien geteilt. Zum Glück haben wir dort nur 5 Monate gewohnt, danach sind wir woanders hingezogen und haben dort 7 Jahre gewohnt. 1978 habe ich dann mein drittes Kind und 1978 mein viertes Kind geboren. Seit 44 Jahren wohnen wir jetzt schon in Bremen Tenever. Ich war 54 Jahre lang verheiratet, bis er vor kurzem leider verstorben ist.
Mein Mann wollte nicht, dass ich arbeiten gehe, weil wir eigentlich nur übergangsweise hier in Deutschland sein wollten, um Geld zu sparen und dann wieder in die Türkei zurückzuziehen. Letzten Endes habe ich in der Woche 3 Mal für 4 Stunden in der Fundgrube in Bremen gearbeitet, 19 Jahre lang.
Ich konnte erst drei Jahre nachdem ich nach Deutschland gekommen war, das erste Mal wieder zurück in die Türkei fliegen und meine Familie wiedersehen. Das war sehr schwer für mich, denn die Sehnsucht nach meiner Familie und der Türkei war sehr groß gerade in der Anfangszeit. Es war schwer mit der Familie in der Türkei zu kommunizieren, das ging damals nur über Briefe. Wir konnten weder auf Beerdigungen, Hochzeiten oder bei Krankheiten bei unserer Familie in der Türkei sein. Ich hatte immer den Gedanken, wieder zurück in die Türkei ziehen zu wollen, allerdings wurde es immer schwieriger, je älter die Kinder wurden. Sie sind hier zur Schule gegangen und haben ihre Berufe erlernt und ab dem Zeitpunkt war es für uns nicht mehr möglich zurückzuziehen.
Am Anfang war es schwer für mich zum Beispiel Fleisch zu kaufen, weil ich nicht wusste, wie oder woher das Fleisch herkam und ob es unserer Kultur entspricht. Es gab damals noch keine türkischen Läden wo wir wussten was wir kaufen. Beim Einkaufen konnte ich mich nur mit Händen und Gesten verständigen, denn ich hatte nie die Möglichkeit einen richtigen Deutschkurs zu besuchen.
Die schönste Erinnerung hier in Deutschland war die Geburt meiner sechs Enkelkinder. Ich hatte damals zu meinen Kindern immer gesagt: “Ich möchte nicht, dass ihr mehr als zwei Kinder macht, das ist sonst zu viel Arbeit und Stress.”, aber ich habe mich unglaublich gefreut, als es dann doch mehr als 2 Enkelkinder wurden. Jetzt kann ich mir ein Leben ohne sie gar nicht mehr vorstellen. Es war die richtige Entscheidung, nach Deutschland zu kommen und hier zu bleiben.
Es ist wichtig, dass die neueren Generationen ihre Wurzeln nicht vergessen und die Möglichkeit zur Mehrsprachigkeit schätzen, das wird euch viele Türen offen halten und euch weiterbringen.
Nezihe Teker
„Ich hatte nicht vor, nach Deutschland zu kommen, aber jetzt wieder zurückzuziehen in die Türkei ist für mich unvorstellbar“
Ich bin 1953 in Susurluk geboren und als ich 10 Tage alt war sind wir nach Bursa gezogen. Meine Familie ist aus Bulgarien nach Susurluk ausgewandert und wollten eigentlich wieder zurückkehren, aber dann kam ich auf die Welt und sie sind nicht mehr zurück. Mein Vater hatte einen Obstladen und war immer morgens früh weg und kam spät nach Hause. Meine Mutter war eine Hausfrau und hat auf mich und meine sechs weiteren Geschwister aufgepasst.
Ich habe einen Abschluss in einer Nähschule angestrebt, allerdings musste ich es abbrechen, nachdem ich geheiratet habe. Ich habe mit 20 Jahren, 1973, geheiratet und bin dann nach Deutschland gekommen. Mein Mann hatte zu dem Zeitpunkt schon 5 Jahre lang in Deutschland gelebt und gearbeitet. Als er dann zu Besuch in der Türkei war haben wir uns kennengelernt und haben geheiratet. Dadurch das es eine arrangierte Ehe war, kannten wir uns beide nicht wirklich. Wir waren ein halbes Jahr verlobt und in der Zeit ist er wieder nach Deutschland gefahren und wir konnten nur über Briefe kommunizieren und uns kennenlernen. Anfangs wollte ich so eine Ehe nicht, aber wir haben uns lieben gelernt und waren 38 Jahre lang glücklich verheiratet bis er dann verstorben ist.
1974 bin ich mit einer uns bekannten Familie mit dem Auto nach Deutschland gekommen, das hat ungefähr zwei bis drei Tage gedauert. Meine Schwester hat in Bremen gewohnt und hat uns schon eine 2 Zimmerwohnung gemietet und alles für uns vorbereitet. Ich bin abends in Bremen angekommen und mein Mann ist morgens von Schweinfurt nach Bremen gekommen.
1975 ist mein ältester Sohn auf die Welt gekommen und 1984 mein zweiter Sohn. Durch die Geburt der Kinder konnte ich nie wirklich arbeiten gehen. Ich konnte, wenn es hochkommt, gerade einmal ein Jahr insgesamt arbeiten. Ich habe 1981 das erste Mal in einem Modegeschäft für Abendkleidung gearbeitet, ungefähr 4 Monate. Danach habe ich halbtags in einer Boutique gearbeitet, für circa 4 Monate. Mit 65 Jahren bin ich dann in Rente gegangen. Seit 30 Jahren biete ich unterschiedliche Kurse für türkischstämmige Frauen an. Beispielsweise gibt es einen Kurs, wo wir zusammen zeichnen oder wir treffen uns zum Frühstücken oder Essen gemeinsam. Aber auch Reisen, wie zum Beispiel nach Dubai oder Marokko, machen wir gemeinsam. Ich habe einen Nähkurs an der Volkshochschule für Frauen und Mädchen angeboten. Danach habe ich 20 Jahre lang in Arbergen einen Sprachkreis-Kurs für Frauen durchgeführt. Anschließend habe ich 25 Jahre in Blockdiek und 5 Jahre in Tenever Kurse angeboten.
Dadurch, dass ich eine sehr gesprächige und offene Person bin, hatte ich hier nicht lange Schwierigkeiten mich einzubringen. Ich bin immer mit einem kleinen Wörterbuch raus und habe mich so um all meine Dinge, wie beispielsweise Arztbesuche oder Angelegenheiten mit der Bank, gekümmert.
Ich hatte nicht vor, nach Deutschland zu kommen, aber jetzt wieder zurückzuziehen in die Türkei ist für mich unvorstellbar. Deutschland ist ein Stück Heimat geworden. Zuerst hatte ich das Gefühl, dass Deutschland sehr kalt ist. Ich hatte keine eigenen Freunde oder Bekannte außer meiner Schwester und ihren Freunden. Da kam mir das Leben hier sehr einsam und langweilig vor. Ich nahm meinen Sohn und mein Wörterbuch und ging in die Stadt, aber mehr als das hatte ich am Anfang nicht. Wir hatten eigentlich vor, hier zwei Jahre zu leben, Geld zu sparen und dann in die Türkei wieder zurückzuziehen. Dann haben wir uns 1979 ein Haus in Bursa gekauft, um wieder dahin zu ziehen, aber wir wollten das Haus erst abbezahlen und dann zurück. Das Abbezahlen hat allerdings länger gedauert als geplant, weshalb wir dann doch weiter in Deutschland geblieben sind. Letzten Endes sind wir in Deutschland geblieben, weil mein Sohn schon 14 Jahre alt war und nicht in die Türkei ziehen wollte, weil er hier seine Freunde und sein Leben aufgebaut hatte.
Anfangs sehnte ich mich danach in die Türkei zu fliegen, um meine Familie zu sehen und da haben uns auch 6 Wochen nicht ausgereicht. Jetzt bin ich letzten Sommer für 1 1/2 Monate in der Türkei gewesen und ich habe gemerkt, wie ich Deutschland, meine Freunde und mein Leben hier vermisst habe.
Das, was ich den neueren Generationen mitgeben möchte, ist: Lernt! Erlernt eure Berufe und geht zur Schule und verliert eure Träume nicht. Macht euch unabhängig von allen und lernt auf euren eigenen Beinen zu stehen.
Nimet Türkmen
„Deutschland bietet einem Sicherheit und Freiheit, wisst das zu schätzen“
Ich bin 1951 in Bursa geboren. Ich habe die Grundschule abgeschlossen und konnte keinen weiteren Beruf erlernen, weil meine Mutter krank wurde und ich mich um sie kümmern musste. Ich habe zwei Geschwister und aufgrund der Krankheit meiner Mutter musste ich auf meine kleine Schwester aufpassen und konnte nicht weiter zur Schule gehen. Mit 16 Jahren 1967 habe ich geheiratet, mein Mann war gerade mal 20 Jahre alt. Seine beiden Eltern sind früh verstorben, die Mutter, als sie 20 Jahre alt war und der Vater, als er 27 Jahre alt war. Er hatte mit 5 Jahren niemanden mehr außer seinen Onkel. Bei dem hat er bis er 10 Jahre alt war gelebt, danach wurde er in ein Heim für Kinder geschickt.
Wir sind jetzt seit 55 Jahren glücklich verheiratet.
1973 bin ich mit meinem Mann nach Deutschland gekommen. Ich habe 1968 mein erstes Kind bekommen, 1972 mein zweites und 1975 mein drittes Kind. Ich musste mein erstes Kind mit 10 Monaten bei meiner Mutter lassen, weil ich hier in Deutschland nicht auf mein Kind aufpassen konnte. Nach und nach musste ich dann alle meine Kinder in die Türkei zu meiner Mutter schicken. Wir waren letztendlich zum Arbeiten hier und wollten Geld für unsere Familie sparen, um dann wieder zurückzukehren in die Türkei.
Wir sind mit dem Flugzeug nach München gekommen, von dort aus sind wir mit dem Zug nach Wallgau gefahren und haben in Garmisch-Partenkirchen in einem Hotel gearbeitet. Ich habe zu Beginn als Zimmermädchen gearbeitet, später habe ich auf das Kind von meinem Chef aufgepasst und mein Mann war in der Küche tätig. Zu Anfang waren viele andere Türken auch in dem Hotel, die dort gearbeitet haben, allerdings waren alle bis auf uns beide nach einem Jahr wieder weg, weil deren Vertrag ausgelaufen sind. In dem Hotel haben wir 5 Jahre lang gearbeitet. Dort haben uns alle herzlich aufgenommen. Die Kinder habe ich 1978 nach Deutschland geholt. Wir haben in einem kleinen Bungalow gewohnt, das wurde uns vom Hotel gestellt. Allerdings wurde es sehr schwer für mich mit drei Kindern und der Arbeit gleichzeitig, sodass ich nach Alternativen suchen musste. Mir war es einfach wichtig ein Wochenende frei zu haben für meine Kinder, in der Woche zu arbeiten, war für mich kein Problem. Wir hatten Verwandte in Frankfurt und die meinten zu uns: „Kommt hierher, hier gibt es genug Arbeitsplätze”. Dann sind wir nach Frankfurt umgezogen und beim Arbeitsamt haben sie uns gesagt, dass es hier keine Arbeit für uns gibt. Wir haben einen Monat lang bei unseren Verwandten in Frankfurt gewohnt. Wir hatten Freunde in Bremen und sind dann 1978/1979 zu denen nach Bremen gezogen, um dort zu arbeiten. Dort hat mein Mann in der Fabrik in Hemelingen namens Wilkens angefangen zu arbeiten. In der Zeit habe ich ein Jahr lang in einer Pfefferfabrik gearbeitet in der Nähe vom Weserpark, meine Arbeit war dort sehr entspannt. Ein Jahr später war ein Platz in der Fabrik Wilkens frei, wo ich dann im Jahr 1980 angefangen habe zu arbeiten. Morgens musste ich die Kinder in den Kindergarten bringen und dann zur Arbeit gehen, ich habe dort viele Überstunden gemacht. Das war auf Dauer sehr schwer für mich. Nach 11 Jahren bin ich durch das Ganze Silber auf der Arbeit krank geworden, ich hatte unglaubliche Kopfschmerzen bekommen. Der Arzt hat mir gesagt, dass ich so nicht mehr arbeiten kann. So bin ich dann mit 45 Jahren 1996 zwangsweise sehr früh in Rente gegangen.
Wir sind aus der Türkei gekommen und wir kannten unser türkisches Essen und anfangs war das sehr schwer für mich, weil es in Garmisch-Partenkirchen keine türkischen Restaurants oder Läden gab. Es gab ein Hähnchenstand, zu dem wir einmal die Woche gegangen sind, um dort Hähnchen zu essen. Jedoch haben sie uns im Hotel immer gesagt, wenn das Fleisch aus Rind war, damit wir wussten, dass wir das auch essen konnten.
Mein Mann war früher in der Türkei Taxifahrer, wir beide kamen aus sehr armen Verhältnissen und hatten eigentlich als Ziel Geld anzusparen und dann uns ein Haus in der Türkei zu kaufen und ein Auto zu kaufen. Allerdings war es schwieriger zurückzukehren, nachdem wir die Kinder hier nach Deutschland gebracht hatten. Sie haben sich hier ein Leben aufgebaut, sich an Deutschland gewöhnt und wurden immer älter, sodass eine Rückkehr in die Türkei unvorstellbar wurde. Wir sind dennoch jedes Jahr in die Türkei zu unserer Familie gefahren. Früher gab es noch keine Telefone und da habe ich bei meiner Schwangerschaft ein Bild mit einem Brief in einen Umschlag getan und zu meiner Familie geschickt. Die deutsche Sprache habe ich durch die Arbeit gelernt, ich bin zu keinem Kurs gegangen. Wenn ich Wörter nicht wusste, habe ich in meinem kleinen Wörterbuch alles nachgeguckt. Ich kann mich gut verständigen, sowohl Arztbesuche als auch andere Angelegenheiten kann ich gut selber erledigen.
Meine Empfehlung an die jüngere Generation ist es, immer offen gegenüber jedem zu sein. Deutschland bietet einem Sicherheit und Freiheit, wisst das zu schätzen!
Pakise Canga
„Ich bin froh nach Deutschland gekommen zu sein, ich bereue diese Entscheidung nicht. Das schönste an Deutschland sind meine Kinder und meine Enkelkinder“
Ich bin 1944 in Susurluk geboren. Mit 4 Jahren sind wir mit der Familie nach Istanbul gezogen. Dort konnte ich bis zur 5. Klasse zur Schule gehen und anschließend war ich zwei Jahre lang in einer Nähschule, so mit ungefähr 12 bis 15 Jahren. Mit 16 Jahren habe ich angefangen bei meinem Vater im Laden zu arbeiten. Mit 18 Jahren bin ich mit meinem Mann weggelaufen und haben 1962 geheiratet. Meine Eltern wollten nicht, dass ich meinen Ehemann heirate, weil er schon einmal verheiratet war und drei kleine Kinder hatte.
1964 ist meine Tochter in der Türkei geboren, als sie dann 8 Monate alt war, bin ich alleine 1965 nach Deutschland, Aschaffenburg, gekommen. Da war ich gerade mal 21 Jahre alt. Ich musste meine Tochter in der Türkei bei meiner Mutter lassen. Ich bin jedes Jahr zu meinen Kindern gefahren, aber erst nach 8 Jahren haben wir sie nach und nach alle vier Kinder nach Deutschland geholt.
Ich bin mit dem Zug von Istanbul nach München gefahren. Die Zugfahrt war schrecklich, ich erinnere mich an meine angeschwollenen Füße und wir mussten teilweise in Konservendosen pinkeln, weil alles voll war. Nachdem wir in München ankamen, wurden wir dort von einem Dolmetscher abgeholt, wir waren ungefähr acht Frauen, die nach Aschaffenburg weitergefahren sind und keiner von uns konnte die deutsche Sprache. In Aschaffenburg habe ich in einem Heim mit sechs anderen Frauen zusammen gewohnt. Dort waren wir wie Schwestern, es war schön dort. Drei Frauen haben in dem einen Raum geschlafen und wir anderen drei in dem anderen Zimmer. Ich habe dort in einer Firma als Näherin gearbeitet. Acht Monate später kam dann auch mein Mann nach Deutschland, nach Hamburg. Dort hatte er allerdings Probleme mit den Augen bekommen durch seine Arbeit als Schweißer. Mein Mann war eigentlich Uhrmacher und wir hatten Freunde in Bremen, weshalb wir dann nach Bremen gekommen sind. Unser eigentliches Ziel war es, Geld zu verdienen, einen Uhrenladen für meinen Mann zu eröffnen, ein Haus zu kaufen und dann wieder in die Türkei zu ziehen.
Wir haben dann 1967 zusammen in einer Sackleinen-Fabrik in Bremen gearbeitet. Danach habe ich von 1968 bis 1974 in der Stern-Haarfabrik gearbeitet, dort haben wir Perücken hergestellt. Nebenbei habe ich dann noch 20 Jahre lang beim Stern in der Heimarbeit gearbeitet, von 1974 bis 1994. 1978 habe ich meinen Sohn zur Welt gebracht und habe eine Zeitlang nicht gearbeitet. Irgendwann habe ich nebenbei im Krankenhaus für zwei Stunden gearbeitet, geputzt und parallel die Heimarbeit weitergemacht. 1991 habe ich dann im Krankenhaus aufgehört zu arbeiten und habe in der Hachez-Fabrik bis 2010 gearbeitet. 2010 bin ich mit 65 Jahren in Rente gegangen. Von 2010 bis 2013 bin ich nach der Rente noch putzen gegangen.
Die deutsche Sprache habe ich erst durch die Arbeit sprechen gelernt. Ich erinnere mich an eine Situation, wo ich beim Arzt war und einen Krankenschein holen wollte und zum Arzt meinte „Ich krank, kann ich Papier?“ und dann meinte er zu mir „Was willst du damit? Willst du auf Toilette damit, oder was?“ da war ich schockiert.
Ich bin froh nach Deutschland gekommen zu sein, ich bereue diese Entscheidung nicht. Das schönste an Deutschland sind meine Kinder und meine Enkelkinder.
Ich empfehle es jedem zur Schule zu gehen und zu lernen. Erlernt euren Beruf, geht studieren und bildet euch weiter.
Rabia Ordu
„Anfangs konnte ich mich sehr schwer an Deutschland gewöhnen, aber mit der Zeit wurde es immer einfacher“
Ich bin in Bursa, Yeni Şehir, 1951 geboren. Ich hatte drei weitere Geschwister. Ich bin bis zur Mittelstufe zur Schule gegangen. Anschließend bin ich für zwei Jahre auf eine Kunstschule gegangen und habe das Nähen und Backen gelernt.
1971 habe ich mit 20 Jahren meinen Mann geheiratet und eine Woche später sind wir dann mit dem Auto nach Deutschland gefahren. Mein Mann hatte schon 4 bis 5 Jahre vor unserer Hochzeit in Deutschland gewohnt. 1972 habe ich meine Tochter geboren, bis dahin hatte ich in Deutschland auch noch nicht gearbeitet.
1973 habe ich dann für ein Jahr im Bremer Haus in einer Textilfirma gearbeitet. In der Zeit habe ich meine Tochter in die Türkei zu meiner Mutter gebracht, damit sie auf sie aufpassen kann, während ich arbeite und Geld spare. Als dann 1974 mein Sohn zur Welt gekommen ist, habe ich sie direkt wieder zurück zu mir geholt. 1976 ist mein drittes und 1982 mein viertes und letztes Kind geboren. Da stand für uns fest, dass ich zuhause bei den Kindern bleibe. Nichtsdestotrotz habe ich meine Tochter mit 12 Jahren wieder in die Türkei gebracht und dort lebt sie bis heute noch. Ich habe sie immer wieder hierher geholt, aber sie hatte sich an das Leben in der Türkei gewöhnt. Wir sind jedes Jahr mehrfach in die Türkei geflogen und heute bleibe ich auch ein paar Monate am Stück dort.
Mein Mann wurde 2003 durch eine Hirnblutung gelähmt und lag nur im Bett. Ich habe mich 16 Jahre lang um ihn gekümmert, bis er 2019 verstorben ist.
Unser Traum war es, mit dem gesparten Geld ein Haus und ein Auto zu kaufen in der Türkei. 1987 bin ich für meine Kinder zurück in die Türkei gezogen, damit sie dort zur Schule gehen können. Das war sehr schwer für meinen Mann, sodass ich wieder zurück nach Deutschland gekommen bin. Wir hatten eigentlich die Intention wieder zurück in die Türkei zu ziehen, aber nachdem die Kinder älter waren, war das Ganze nicht mehr so einfach. Die deutsche Sprache habe ich nie richtig in einem Sprachkurs gelernt. Ich habe die Sprache durch meine Kinder oder durch das Fernsehen gelernt. Die erste Zeit konnte ich nicht alleine einkaufen gehen oder zu Arztbesuchen, das habe ich mich nicht getraut und ich konnte noch gar nichts verstehen oder mich verständigen. Ich hatte ein wenig Englisch Kenntnisse durch die Schule, aber mehr konnte ich auch nicht.
Anfangs konnte ich mich sehr schwer an Deutschland gewöhnen, aber mit der Zeit wurde es immer einfacher. Nichts geht über die Türkei für mich, aber Deutschland bedeutet mir auch viel.
Ich finde es einfach wichtig, ein geduldiger Mensch zu sein. Geduld ist der Schlüssel für alles. Was mindestens genauso wichtig ist, ist die Bildung. Zur Schule zu gehen und die Bildung zu genießen ist für jede Zukunft bedeutsam.
Reyhan Kulaber
„Wir sind zum Arbeiten nach Deutschland gekommen, um uns Geld anzusparen und unsere Familien zu versorgen“
Ich bin 1951 in Üsküp, Jugoslawien geboren. Wir sind damals 1957 in die Türkei ausgewandert und haben bis 1972 in Istanbul gewohnt. Ich bin mit 8 Geschwistern groß geworden. Wir waren eine sehr arme Familie und mein Vater hat mit Gartenarbeiten versucht, uns alle zu ernähren. Ich konnte nur bis zur Mittelstufe zur Schule gehen und keinen richtigen Beruf erlernen. Ich habe ein Jahr lang in einer französischen Firma als Buchhalterin gearbeitet in Istanbul.
1972 ist mein Mann zurück in die Türkei gekommen, damit wir heiraten konnten. Wir haben ungefähr 2 Monate lang in Istanbul zusammengewohnt. 1972 bin ich dann mit dem Flugzeug nach Deutschland, Hannover, gekommen. Dort hat mich mein Ehemann abgeholt und ist mit mir nach Bremen gefahren. Ich war unglaublich aufgeregt, den Mann wieder zu sehen, den ich geliebt habe. Heute lebe ich schon seit 50 Jahren in Deutschland.
Meine erste Wohnung ist mir besonders im Gedächtnis geblieben. Die Wohnung war im ersten Stock und wir hatten kein richtiges Badezimmer. Wir mussten uns mit Waschschalen sauber machen und eine Gemeinschaftstoilette benutzen. 1974 bin ich schwanger geworden und da haben wir gemeinsam beschlossen, dass wir hier nicht mehr lange bleiben können und sind dann nach Tenever gezogen.
Wir sind zum Arbeiten nach Deutschland gekommen, um uns Geld anzusparen und unsere Familien zu versorgen. Ich habe heimlich hinter dem Rücken von meinem Mann als Putzfrau in der Innenstadt gearbeitet, um ihn finanziell unterstützen zu können. Das hat allerdings nicht lange angehalten, um genau zu sein eine Woche, dann hat mein Mann rausgefunden das ich heimlich arbeiten war. Ich hatte sogar den Schlüssel bekommen, ohne dass ich die deutsche Sprache konnte und mit ihnen kommunizieren konnte, so sehr und schnell haben sie mir vertraut und mich aufgenommen. Ich habe 1973, bis zur Schwangerschaft meiner ersten Tochter 1974, in der Neustadt in einer Firma für Lampen gearbeitet. Danach war ich Hausfrau und Mutter. 1977 wurde mein Sohn geboren. 1980 habe ich bei Siemens in der Wicklerei gearbeitet. Mein Mann hat morgens gearbeitet und ich mittags, sodass immer jemand für die Kinder da war, ohne diese Bedingung hätte ich nicht arbeiten können. Dort habe ich 30 Jahre lang gearbeitet, bis zur Frührente im Jahr 2011.
In meinen Träumen kam Deutschland gar nicht erst vor, aber durch die Liebe zu meinem Mann bin ich nach Deutschland gekommen und habe es hier lieben gelernt. Das Leben steckt voller Überraschungen und kommt anders als man denkt und plant, aufgrund dessen mussten wir hier in Deutschland bleiben. Das Schlimmste war für mich, dass meine Eltern mit der Sehnsucht nach mir gestorben sind und ich nicht mal auf deren Beerdigung gehen konnte. Das möchte ich meinen Kindern nicht antun, deshalb bleibe ich hier in Deutschland. Ich weiß, dass sie hier geboren und aufgewachsen sind und sich ein Leben in der Türkei verständlicherweise nicht vorstellen können.
Ich gehe immer wieder für 6 Monate in die Türkei und das reicht mir vollkommen aus. Sowohl hier als auch in der Türkei sind wir Ausländer, und Deutschland gibt mir mehr das Gefühl von Zuhause. Meine schönste Erinnerung hier in Deutschland ist die Zeit mit meinen Kindern und meinen Enkelkindern.
Meine Nachbarn und meine Arbeitskollegen oder Vorgesetzten kamen mir immer mit Verständnis und Respekt entgegen. Deutsch habe ich nie richtig lernen können, wir haben anfangs immer wieder mit der Hoffnung gelebt „wir werden nach einem Jahr sowieso wieder in die Türkei ziehen“, dann hieß es wir werden nach 2 Jahren, 3 Jahren und so weiter in die Türkei ziehen und so ist die Zeit vergangen ohne, dass ich richtig die Sprache lernen konnte.
Selbst auf der Arbeit konnte ich die Sprache nicht wirklich lernen, da wir hauptsächlich mit Maschinen gearbeitet haben und diese schlecht mit uns sprechen konnten. Ich habe mich sozusagen mit Händen und Füßen und mit einzelnen Wörtern wie „Ja“ oder „Nein“ verständigt. Zu Arztbesuchen habe ich immer meine Kinder mitgenommen.
Damals gab es nicht die Pflicht, zu einem Deutschkurs zu gehen und die Sprache zuerst zu lernen. Jedoch gehe ich aktuell, nach 40 Jahren, zu einem Sprachkurs, um auch jetzt noch meine deutsche Sprache zu verbessern.
Die Vergangenheit können wir nicht mehr ändern. Lebt euer Leben in vollen Zügen und guckt nicht in die Vergangenheit zurück und das, was in der Zukunft kommt, liegt nur in Gottes Händen. Lebt im Hier und Jetzt und geht für euch den richtigen Weg.
Sati Belin
„Deutschland gibt mir das Gefühl von Sicherheit und die Möglichkeit auf Bildung und Leben“
Ich bin in einem kleinen Dorf in Bolu in der Türkei geboren und mit 5 weiteren Geschwistern aufgewachsen. Ich weiß nicht genau, wann ich geboren wurde. Sie meinten in der Türkei ich sollte zu einer Stelle gehen und die werden mein Alter anhand meines Gesichtes schätzen. Da war ich gerade Mal 14 Jahre alt und die haben mich auf 18 Jahre geschätzt. Soweit ich weiß bin ich jetzt 80 Jahre alt. Meine Familie und ich kamen aus sehr armen Verhältnissen. Ich durfte nie zur Schule gehen, noch heute würde ich gerne zur Schule gehen. Mein Vater war der Meinung, dass Frauen in der Schule nichts zu suchen haben. Ich wurde mit 13 Jahren verlobt und habe dann 1960 mit 16 Jahren geheiratet. 1965 ist mein Sohn geboren und wir sind sechs Monate später nach Ankara gezogen und haben dort 5 Jahre gelebt. Mein Mann konnte in Ankara keine Arbeit finden, im Sommer hatte er Arbeit und im Winter nicht. Das hat uns nicht gereicht zum Überleben. Mein Mann hatte aus seiner vorherigen Ehe zwei Kinder mitgebracht und ich hatte zu dem Zeitpunkt mein zweites Kind geboren, sodass wir insgesamt 6 Personen waren, die ernährt werden mussten. Im Sommer habe ich auf einem Feld gearbeitet und habe dort das Getreide geerntet.
1970 ist mein Mann dann nach Deutschland gegangen und wir waren 5 Jahre lang alleine in der Türkei. Er hat versucht, uns immer wieder Geld zu schicken und uns zu ernähren. Er ist jedes Jahr zu uns in die Türkei gekommen. Ich musste immer wieder Sachen verkaufen, um die Kinder und mich zu ernähren. Das Geld hat uns einfach vorne und hinten nicht gereicht. 1974 wurde dann mein Antrag für Deutschland rausgeschickt, da wollte ich allerdings noch nicht meine Kinder alleine lassen und nach Deutschland gehen. 1975 bin ich dann nach meinem zweiten Antrag mit dem Flugzeug nach Deutschland gekommen und habe meinen Sohn in der Türkei gelassen, meine Tochter habe ich mitgenommen. Meinen Sohn habe ich ein bis zwei Jahre später nach Deutschland nachgeholt. Nach sechs Monaten in Deutschland war mir irgendwann alles zu eintönig und langweilig. Meine Tochter ist zur Schule gegangen und ich war nur zuhause und das Geld hat nicht gereicht. Ich habe angefangen kleinere Jobs zu machen, wie beispielsweise zu putzen oder in Restaurants in Osnabrück zu arbeiten, dort habe ich 13 Stunden am Stück ohne Pause gearbeitet. Mit der Zeit habe ich fünf Tage die Woche in der Hausreinigung gearbeitet und am Wochenende habe ich samstags und sonntags im Restaurant gearbeitet. Anschließend habe ich 12 Jahre lang für fünf Stunden in einem Supermarkt gearbeitet. 1981 sind wir von Osnabrück nach Bremen umgezogen. Mit 65 Jahren bin ich Rentnerin geworden.
Mein Ziel war es eigentlich, zwei Jahre hier zu arbeiten und Geld zu verdienen und dann wieder in die Türkei zu ziehen, daraus wurde allerdings nichts, nachdem die Kinder groß wurden. Mein Mann ist jedes Jahr in die Türkei geflogen. Ich bin nur alle drei Jahre in die Türkei geflogen, damit ich mehr arbeiten und Geld verdienen konnte. Mit meiner Familie in der Türkei konnte ich zu Anfang nur über Briefe kommunizieren. Dadurch, dass ich weder schreiben noch lesen konnte, mussten die Briefe immer andere für mich schreiben.
Die deutsche Sprache konnte ich leider nie richtig lernen, wenn dann nur ein wenig durch die Arbeit. Damals wusste ich nicht, dass es sowas wie Sprachkurse gab. Mit 35 Jahren hätte ich das einfacher gelernt, aber jetzt ist es schwer für mich. Ich bin dennoch nach der Rente irgendwann zu einem Deutschkurs gegangen. Egal wo du hingehst, du musst die Sprache lernen. Ohne die Sprache ist es einfach sehr schwer dort zu leben. Ich musste immer meine Tochter überall hin mitnehmen, damit sie für mich oder meinen Mann übersetzt.
Ich bin sehr glücklich, dass wir hier nach Deutschland gekommen sind. Wir hatten es sehr schwer in der Türkei. Wir hatten nicht mal ein vernünftiges Haus, es hat im Winter reingeschneit und wenn es geregnet hat wurden wir auch nass. Ich weiß nicht, ob ich meinen Kindern die Bildung, die sie jetzt bekommen haben, hätte bieten können, wenn wir in der Türkei geblieben wären. Deutschland gibt mir das Gefühl von Sicherheit und die Möglichkeit auf Bildung und Leben.
Süleyman Cambaz
„Mein Ziel war es eigentlich hier zu arbeiten, um Geld für meine Familie zu verdienen und dann wieder in die Türkei zurückzuziehen. Allerdings kam alles anders als gedacht und Deutschland wurde zu unserer Heimat“
Ich wurde 1945 in Veles in Nordmazedonien geboren. Mit 12 Jahren sind wir zu Fuß mit meinen Eltern und fünf weiteren Geschwistern in die Türkei nach Istanbul gelaufen, um uns dort ein neues Leben aufzubauen. Seit Tag eins habe ich in Istanbul in einer Textilfirma angefangen zu arbeiten. Irgendwann hat mir mein Chef angeboten in Bursa in einer höheren Position zu arbeiten. Da das Geld was ich in Istanbul bekommen habe nicht gereicht hat, um meine Familie zu versorgen, habe ich das Angebot angenommen. In Bursa musste ich in der Fabrik in allen drei Schichten, Früh-, Spät- und Nachtschicht, arbeiten. Ich habe in der Fabrik einen eigenen Raum bekommen, um dort schlafen zu können. Mein Chef hat mir eine Frau in der Türkei gefunden mit der ich heiraten konnte.
Nach einiger Zeit kam die Möglichkeit nach Deutschland zu reisen und dort als Arbeiter tätig zu sein. Aufgrund meiner finanziellen Lage und meiner Verpflichtung, die Familie zu ernähren, entschied ich mich dazu, das Angebot anzunehmen und nach Deutschland zu reisen. Innerhalb von zwei Monaten kam die Rückmeldung und die Erlaubnis, in Deutschland zu arbeiten. 1970 bin ich zuallererst mit dem Zug aus Istanbul alleine nach Österreich gefahren. Zu dem Zeitpunkt war ich erst 23 Jahre alt. In Österreich angekommen, wurden wir Arbeiter von Dolmetschern der Firma, in der wir arbeiten sollten, herzlich empfangen. Sie wollten uns Arbeiter direkt zum Essen ausführen und meinten zu uns: „Das ist Essen, was ihr auch essen könnt, da ist nichts mit Schweinefleisch.“. Zu Anfang hat sich keiner von uns getraut, es zu essen. Das war uns alles noch sehr unbekannt. Mit der Zeit jedoch entstand mehr Vertrauen. Heutzutage geben wir uns gegenseitig, mit unseren deutschen Nachbarn, unsere Haustürschlüssel, wenn wir im Urlaub sind. So sehr vertrauen und verstehen wir uns.
In Österreich, Möllersdorf, habe ich 1 ½ Jahre in einem Heim mit ungefähr 30 weiteren Personen gewohnt. Sie haben für uns extra Toiletten wie in der Türkei gehabt, das fand ich sehr schön.
1971 bin ich mit 24 Jahren mit dem Zug weiter nach Deutschland gefahren. Drei Monate später habe ich meine Frau nach Deutschland geholt. Wir haben in Findorff in einem Keller gewohnt. Ich habe dann in einer Firma in der Neustadt angefangen zu arbeiten als Eisenmaler. Dort habe ich Kräne bemalt, danach habe ich als Hausmaler in Findorff gearbeitet. Das habe ich ungefähr 9 Jahre lang gemacht. Danach habe ich als Schweißer bei Mercedes für 5,5 Jahre gearbeitet. 1980 habe ich dort aufgehört und habe dann bei der Bundesbahn 24-25 Jahre, zuerst als Rangierer und dann als Weichentechniker, gearbeitet. Aufgrund der Wirtschaftskrise im Jahr 2004 bin ich mit 65 Jahren in Rente gegangen. Danach habe ich mich selbständig gemacht mit drei Kiosken, Neustadt, Woltmershausen und Sebaldsbrück. Dort habe ich nach der Rente 7 bis 8 Jahre gearbeitet. Nebenbei habe ich seit ungefähr 15 Jahren Fotografie als Hobby. Dank meiner Arbeit konnte ich die deutsche Sprache lernen, zwar nicht perfekt, aber mehr als ausreichend.
Mein Ziel war es eigentlich hier zu arbeiten, um Geld für meine Familie zu verdienen und dann wieder in die Türkei zurückzuziehen. Allerdings kam alles anders als gedacht und Deutschland wurde zu unserer Heimat. Vor ungefähr 30 Jahren habe ich meine deutsche Staatsbürgerschaft bekommen und lebe mit meiner Familie, meinen zwei Kindern, meinen Enkelkindern und sogar Urenkelkindern, glücklich in Deutschland.
Hier in Deutschland sind mir insbesondere die Bildungsurlaube positiv im Gedächtnis geblieben. Dort bin ich immer mit meiner Familie hingefahren, dort gab es Leute, die auf die Kinder aufgepasst haben und wir konnten uns mit der Familie zusammen erholen. Die Menschenrechte und die Freiheit hier in Deutschland haben mir gezeigt, wo ich sein möchte.
An alle anderen Generationen da draußen kann ich nur sagen, dass die Menschlichkeit und der gegenseitige Respekt jedem Menschen gegenüber das Wichtigste ist.
Susan Aslan
„Ich bereue es auf keinen Fall, nach Deutschland gekommen zu sein. In Deutschland fühle ich mich einfach sicher und frei“
Ich bin 1948 in Sivas, Suşehri geboren. Wir waren fünf Geschwister. Ich konnte bis zur 5. Klasse zur Schule gehen. 1965 habe ich mit 16 Jahren geheiratet und bin mit meinem Mann nach Istanbul gezogen. Mein Mann hat damals als Schneider gearbeitet, ich war Zuhause und am Wochenende konnten wir raus und ein bisschen was unternehmen.
1966 habe ich mein erstes Kind bekommen, 1968 mein zweites Kind, 1971 mein drittes Kind, 1974 mein viertes Kind und 1975 mein fünftes und letztes Kind.
Ich bin mit dem Zug als Gastarbeiterfamilie im Jahr 1969 mit meinen zwei Kindern und meinem Ehemann nach Deutschland gekommen. Die Fahrt hat ungefähr 3 Tage gedauert und die Zuggeräusche kann ich bis heute nicht vergessen. Ich war im Herbst in Deutschland und im Sommer bin ich wieder zurück in die Türkei geflogen, weil ich mich hier nicht wohlgefühlt habe.
1971 sind wir wieder nach Deutschland gezogen, aber diesmal ohne Kinder. Die musste ich in der Türkei bei meinen Eltern lassen. Mein Mann hat bei der Montage gearbeitet und war immer viel unterwegs zum Beispiel in Holland und Italien, danach war er aber in Deutschland. Wir hatten in Deutschland eine Militärwohnung, Kaserne, in Niedersachsen bekommen. Meine Kinder haben bei mir bis sie sechs Jahre alt waren gelebt, dann habe ich sie in die Türkei geschickt bis sie die Schule fertig gemacht haben.
Mit meiner Familie in der Türkei konnte ich nur über Briefe kommunizieren.
Die deutsche Sprache habe ich durch den Alltag gelernt, ich war leider damals nicht in einem Sprachkurs. Ich gehe jetzt allerdings zu einem Deutschkurs, insbesondere für die deutsche Grammatik.
Vor 4 Jahren ist mein Mann verstorben, wir waren 55 Jahre lang verheiratet.
26 Jahre lang habe ich bei Airbus als Putzfrau gearbeitet. Mit 63 Jahren bin ich dann in Rente gegangen.
Unser Ziel war es eigentlich, genug Geld zu sparen und dann in der Türkei ein Haus zu kaufen, wo wir mit all unseren Kindern leben können. Jedoch kam es anders als gedacht, mein Mann ist verstorben sowie viele aus meiner Familie in der Türkei, sodass ich es mir jetzt gar nicht mehr vorstellen kann. Zudem leben in Deutschland meine Kinder, Enkelkinder und Urenkelkinder, die möchte ich nicht alleine lassen.
Ich bereue es auf keinen Fall, nach Deutschland gekommen zu sein. In Deutschland fühle ich mich einfach sicher und frei.